Warum Führungskräfteentwicklung so oft wirkungslos bleibt

Was Führungskräfte und Organisationen können sollten, wenn sie wirksam führen wollen (3)

In mehr und mehr Unternehmen wird Führung inzwischen als ein entscheidender Qualitäts- und Wettbewerbsfaktor gesehen. Führung ist relevant. Führungsdefizite wie mangelnde intransparente Kommunikation, Geheimniskrämerei, Misstrauen, Konfliktvermeidung, mangelnde Wertschätzung oder das Aufschieben von notwendigen Entscheidungen werden thematisiert. Führung muss daher entwickelt werden. Folgerichtig erschallt der Ruf nach Leadership Development. Das Management soll Führungskompetenzen auf sachlicher und persönlicher Ebene ausbilden. Ausbildungsprogramme werden konzipiert, Trainings werden beauftragt und die Führungskräfte werden durch Module und Seminartage durchgeschleust. Nicht selten werden dafür auch ganz beträchtliche Budgets aufgestellt.

Die Ernüchterung lässt meist nicht lange auf sich warten. Denn häufig ändert sich dadurch kaum etwas am realen Führungsverhalten, auch die entdeckten Defizite bleiben hartnäckig bestehen. Kommen die TeilnehmerInnen an Trainings-(programmen) von diesen meist hochmotiviert und voller Tatendrang zurück, so ist meist schon nach den ersten Arbeitstagen ein Verblassen der mitgebrachten Euphorie und Veränderungsideen merkbar. Bald haben sich Alltagsdynamik und Routinen wieder durchgesetzt, der Umsetzungs- und Veränderungseifer ist verflogen. Warum? War die Qualität des Trainingsprogramms schlecht? Haben die TrainerInnen nicht an die Umsetzung gedacht?

Nicht unbedingt. Vielmehr verweisen solche Trainingsergebnisse auf die Frage, wie im betroffenen Unternehmen das Lernen von Personen mit der Entwicklung der Organisation verbunden ist: Welche Vorkehrungen trifft die Organisation, um das Lernen von Personen zu prädisponieren und zu verankern?

Denn zunächst ist keineswegs a priori gewährleistet, daß MitarbeiterInnen und Führungskräfte in Qualifizierungen und Trainings überhaupt lernen. Wenn etwa die Grundmotivation im Voraus nicht passt, weil das Training verordnet wurde oder die gebotenen Lerninhalte bei den MitarbeiterInnen nicht anschlussfähig sind, dann kann es vorkommen, dass ganze Teams zwei Trainingstage einfach aussitzen. Aber selbst wenn die TeilnehmerInnen fest davon überzeugt sind, gelernt zu haben, heißt das noch nicht, dass sie im Sinn der Organisation gelernt haben.

Im Rahmen meiner Forschungs- und Beratungstätigkeit kam mir in unterschiedlichen Varianten immer wieder folgender prototypische Fall unter: Ein Teil des mittleren Managementteams in einem Dienstleistungsbetrieb kommt voll Dynamik und Tatendrang von einem Innovations- und Kreativworkshop zurück. Die Euphorie hält jedoch nur kurz an, einige Wochen später ist der „Geist“ des Innovationsseminars völlig verflogen und ´business as usual´ eingekehrt. Die SeminarteilnehmerInnen sind zum sogar Teil frustriert. Zu deutlich sind sie mit ihrer am Seminar entwickelten Veränderungsenergie an die Grenzen einer lange etablierten Organisationskultur gestoßen, in der Fehlervermeidung ein ganz zentraler Wert ist. In einem solchen Umfeld werden die in einem Innovationsseminar wachgerufenen Geister schlicht als massive Bedrohung erlebt und abgestoßen. Überall wird hervorgekehrt „warum etwas nicht geht.“ Die Organisation ist schlicht nicht eingestellt auf eine neue Form der Wissens- und Kompetenzbildung, sie ist daher dafür auch nicht anschlussfähig. Ed Schein schreibt dazu:

„In der Tat kann das individuelle Lernen zur Gefahr werden, wenn das Wertesystem und die Kultur der Organisation dem Einzelnen nicht genügend Handlungsspielraum lassen. In solchen Fällen ist es für Unternehmen einfach nicht möglich, die individuelle Kreativität zu fördern.“ (Schein 2002, S.21)

Im besten Fall führen Schulungen dann zu Minimalergebnissen im ureigensten Arbeitsbereich (dort wo ich Veränderungen mit niemandem abstimmen muss), die Organisation wird aber kaum sichbar davon profitieren.

Im schlimmeren Fall führt die bestehende Diskrepanz zwischen durch Schulung entwickelten MitarbeiterInnen und sich nicht mitentwickelnden Organisationen zu Demotivation, Frustration und Burn-Out, sofern die MitarbeiterInnen nicht vorher die Organisation verlassen. Je besser, qualitativ hochwertiger und lerneffektiver die Schulung hier war, desto gefährlicher sind die Konsequenzen für MitarbeiterInnen und Organisation. Hochmotivierte veränderungsbereite MitarbeiterInnen prallen dann ungebremst an die gläsernen aber rigiden Mauern der Organisation, die diese Mauern sogar eher verstärken wird, weil sie sich von so viel uneinschätzbarer Veränderungsenergie bedroht fühlt.

Für eine Organisation werden nur jene Kommunikationen von MitarbeiterInnen oder Führungskräften relevant, welche sie nach ihren eigenen Wahrnehmungsmustern als entscheidungsrelevant (an)erkennt (Wolf & Hilse 2009, S.129). Wenn hier die Differenz zwischen den durch Training veränderten Kommunikationen der Individuen und den etablierten Wahrnehmungsmustern der Organisation zu groß oder zu unaufweichlich ist, dann ist das neue Wissen in der Organisation nicht anschlussfähig. Die Organisation lernt ja nicht über Bewusstsein, sondern über die Veränderung ihrer Kommunikations- und Handlungsstrukturen. Nur wenn die Organisation in ihren Kommunikations- und Entscheidungsstrukturen für das neu erlernte Managementverhalten anschlussfähig ist kann dieses auch integriert werden.

An der Schnittstelle von Personal- und Organisationsentwicklung stellt sich daher aus einer Perspektive von nachhaltigem Lernen und nachhaltiger Entwicklung folgende Leitfrage: Welche Vorkehrungen können Organisationen treffen, um das Lernen von Personen zu pädisponieren und zu verankern? Diese Frage werden wir im nächsten Blog aufgreifen.

Interventionskompetenz zur Führung dynamischer Organisationen in komplexen Umwelten

Was Führungskräfte und Organisationen können sollten, wenn sie wirksam führen wollen (2)

Selbstkompetenz (siehe Blogbeitrag Mai 2013) bezieht sich somit wesentlich auf die Herstellung von persönlicher Handlungsfähigkeit durch das Erschließen eigener Potenziale, durch das Auffinden von eigenen (wenig hilfreichen) Kommunikations- und Handlungsmustern und deren Veränderung und durch Selbstentwicklung. Dies ist die eine Seite der Medaille, ein gelingendes Sich selbst führen als Voraussetzung für das Führen von Menschen und Organisationen.

Die andere Seite der Medaille besteht aus einer entwickelten Interventionskompetenz, die in der Lage ist, jene zentralen Handlungsfelder von Führung, die sich für Organisationen in dynamischen Umfeldern als besonders relevant erweisen, erfolgreich auszugestalten. Es geht hier um Führung im eigentlichen Sinn, also die zielorientierte soziale Einflussnahme auf die Organisation und ihre relevanten Umwelten[1] (MitarbeiterInnen, KundInnen, Kooperationspartner, Technologie, Behörden etc.) zur Erfüllung gemeinsamer Aufgaben.

Es ist mir hier wichtig Führung als spezielle Dienstleistung im Interesse der Funktionsfähigkeit der gesamten Organisation zu begreifen und dann zu fragen: Welche zentralen Handlungsfelder muss Führung erfolgreich bespielen, wenn sie wirksam wein will?

Aus der mehrjährigen Erfahrung in der Beratung von dynamischen Organisationen und auf Basis zahlreicher Interviews mit Führungskräften in mehreren Forschungsprojekten seit Ende der 1990er Jahre scheint mir Interventionskompetenz in Bezug auf folgende acht Führungsfelder besonders relevant zu sein.

1.Orientieren: Für Sinn und Ziele sorgen

Im Handlungsfeld „orientieren“ steht die Auseinandersetzung mit der eigenen Zukunft, den eigenen Kernkompetenzen und der eigenen Identität im Vordergrund. Es geht um das kontinuierliche und zielgerichtete Durchführen von Nachdenk- und Lernprozessen, deren Ergebnis in einem gemeinsamen Wollen besteht und in einem gemeinsamen Verständnis über Ziele und Erfolg bzw. wo er zu suchen und aufzubauen ist.

Folgende Fragen stehen im Zentrum: Wer sind wir? Was ist unser Existenzgrund? Was ist unsere Leidenschaft? Was können wir? Was unterscheidet uns von anderen? Was macht uns einzigartig? Wo stehen wir (im Vergleich zu anderen)? Wohin wollen wir? Was ist unsere Vision? Woran könnten wir erkennen, dass wir unsere Vision erreicht haben? Was sind unsere strategischen Ziele? Welche Wege führen zu diesen Zielen? Welche Risiken sind damit verbunden? Welche Ressourcen haben/ brauchen wir dafür? Welche Potenziale müssen wir bilden und entfalten?

Die spezielle Führungskompetenz in diesem Feld besteht darin, wahrzunehmen, wann es solche Prozesse braucht, solche Prozesse anzuregen, für ihre Durchführung zu sorgen, sich mit eigenen Vorstellungen einzubringen und gleichzeitig Partizipation und Teilhabe zu ermöglichen, so dass das Ergebnis breit getragen und wirksam wird.     
Ein Aspekt ist auch, dafür zu sorgen, dass die Ergebnisse in der Folge nicht im Alltagsgeschäft verschwinden, sondern handlungswirksam bleiben. Wirksame Führungskräfte verbreiten verdichten die Ergebnisse, bilden Geschichten, verbreiten sinnvolle Theorien, Erklärungen und Legitimationen und stiften Sinn.

Orientierte Organisationen und Mitarbeitende wissen Bescheid über Prioritäten und Fokussierung von Aufmerksamkeit. Sie wissen Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden. Es entsteht Klarheit was mit Ressourcen zu versehen ist und was nicht.

Spezielle Führungskompetenzen im Feld der Orientierung

  • wahrnehmen, wann es hier einen Orientierungsprozess braucht/ Orientierungsdefizite aufgreifen und zum Thema machen
  • einen Orientierungsprozess auf den Weg bringen (Projekt- und Prozesskompetenz), d.h. erst eine offene Auseinandersetzung über die oben genannten Grundfragen, Organisieren einer Entscheidung und Umsetzungsprozess.
  • die Ergebnisse in die Organisation tragen, sich darüber mit Mitarbeitenden und Stakeholdern weiter auseinander setzen und Sinn stiften.
  • die Vision mitentwickeln, damit MitarbeiterInnen inspirieren. Transparenz darüber herstellen: was ist unser Ziel und wofür ´brenne´ ich als Führungskraft.

2.Steuern: Für Zielerreichung sorgen

Steuern heißt „dranbleiben“. Wie wir in Blog 5 näher ausgeführt haben ist eine Intervention zwar eine zielgerichtete Kommunikation mit der Absicht einer bestimmten Wirkung (es geht beim Führen schließlich um eine zielorientierte soziale Einflussnahme von Personen und sozialen Systemen), die Erzielung der erwarteten Wirkung ist aber zunächst einmal unwahrscheinlich. Denn die Botschaft, die Sie als Führungskraft senden wird nicht einfach ins Zielsystem übertragen, sondern dort erst systemintern konstruiert. Und zwar auf Basis des momentanen emotionalen Zustands und der Erwartungen und Erfahrungen der Person, des Teams oder des Organisationsteils an den Sie die Botschaft adressieren.           

Es geht daher darum, die Systemreaktionen zu beobachten, mit den eigenen Wirkungserwartungen zu vergleichen, Hypothesen über den Hintergrund der Abweichung zu bilden (zB: passende Ressourcen und Strukturen?), Rückschlüsse auf die inneren Strukturen, Prozesse und Befindlichkeiten des Zielsystems zu ziehen (zB: wo liegt gerade die Energie im System?) bzw. angesichts der Ergebnisse auch die Sinnhaftigkeit der eigenen Wirkungsziele zu hinterfragen (zB: unrealistische Erwartungen?) und aus diesem Reflexions- und Abwägungsprozess heraus  einen neuen Steuerungsimpuls zu setzen. Dann wiederum die Wirkung zu beobachten, Hypothesen über die Abweichung zu machen etc.

So besteht steuern vor allem in diesem schleifenförmigen Prozess, der meist mehrere „Nachjustierungen“ in Form eines neuerlichen Durchlaufens dieser Schleife erforderlich macht aber dabei das Erreichen von Zielen nicht aus den Augen verliert.

Spezielle Führungskompetenzen im Feld der Steuerung

  • Beobachten, Hypothesen bilden, Intervenieren, Beobachten...
  • „dranbleiben“ und in Kontakt bleiben
  • das Ziel/ die Ziele im Auge behalten (Effektivität)
  • Kosten/ Nutzen Relation im Blick behalten (Zeit, Kosten, Qualität; Effizienz)
  • Feedback geben

3.Entscheiden –für Reduktion von Komplexität und sicherheit sorgen

„Die wirksame Entscheidung entsteht nicht aus einem Konsens bezüglich der Fakten. Das Verstehen, das einer richtigen Entscheidung zugrunde liegt, erwächst aus dem Zusammenprallen und dem Konflikt divergenter Meinungen und aus dem ernsthaften Erwägen konkurrierender Alternativen.“ (Peter Drucker)

Eine Organisation ist so gut wie ihre Entscheidungen. Organisationen können nur überleben indem sie als basale Form von Kommunikation Entscheidung an Entscheidung knüpfen, dadurch Unsicherheit in Gewissheit verwandeln und Komplexität dabei reduzieren. Aus der Perspektive von Führung weist dieser Fokus insbesondere auf Fragen der Entscheidungsvorbereitung, des Treffens von Entscheidungen und ihrer Umsetzung hin.

In der Entscheidungsvorbereitung geht es vor allem darum, den Prozess lange genug offen zu halten: bis das Problem wirklich klar ist und Anforderungen an eine Lösung definiert sind; und dann mehrere Lösungsoptionen herausgearbeitet und in ihren Risiken und Grenzen eingeschätzt wurden. In dieser Phase braucht es vor allem einen Geist des Beobachtens, Verstehens, Nachdenkens, Nachfragens und Erfindens.

Welche und wie viel Fachexpertise braucht es in dieser Phase um Problem und Alternativen sichtbar zu machen? Wie viel und welche Beteiligung von MitarbeiterInnen und Stakeholdern ist notwendig um alle relevanten Erfahrung und Perspektiven nutzbar zu machen? Welche abgegrenzten Räumen der Vernetzung, des Feedbacks, der Zusammenschau, der gemeinsamen Analyse, Reflexion sind passend um eine angemessene Sicht auf Problem und Alternativen zu bekommen? Das sind Schlüsselfragen in dieser Phase.

In der Entscheidungsphase geht es immer darum, tatsächlich eine Wahl zu treffen. Hier dominiert eine politische Logik, es geht um Interessen und Macht. Die Kunst ist hier, geeignete Räume, Kontexte und Designs herzustellen, welche ein konstruktives und an der Zukunftsfähigkeit der Organisation ausgerichtetes Bewältigen der Gegensätze unterstützen und ermöglichen. Eine gute Entscheidung ist eine Funktion aus ihrer inhaltlichen Qualität und ihrer Akzeptanz, d.h. gute Entscheidungen müssen so zu Stande kommen, dass sie auch mitgetragen werden.

Denn erst in ihrer Umsetzung kann eine Entscheidung zu einer guten Entscheidung werden. In dieser Phase geht es vor allem darum, den Umsetzungsprozess zu ´steuern´ (siehe oben). Als Führungskraft voran zu gehen, die Entscheidung mitzuteilen, zu begründen und daraus sich ergebende Veränderungen anzuleiten; allfällige Pilotprojekte mit auf den Weg zu bringen und dafür Sorge zu tragen, dass es geeignete Räume der Reflexion von Umsetzungserfahrungen gibt.

Spezielle Führungskompetenzen im Feld der Entscheidung

  • Entscheidungen erfordern Zeit und Aufwand. Organisationen versuchen Entscheidungen auf ein Minimum zu reduzieren. Die Kompetenz von Führung besteht daher vor allem darin, Entscheidungsnotwendigkeiten aufzugreifen und Platz für Entscheidungen in die Organisation einzubauen.
  • Entscheidungsprozesse als Abwägungs- und Kommunikationsprozesse zu gestalten
  • Die drei Phasen von Entscheidungen differenzieren zu können und ihren jeweiligen Erfordernissen gemäß auszugestalten; und zwar im Spannungsfeld von Komplexität und Unsicherheit, zwischen Öffnung und Schließung der Diskussion relevante Unterschiede in Richtung einer Entscheidung zu ´balancieren´ und diese dann auch umzusetzen.
  • Die damit verbundenen Spannungen und Widersprüche gilt es auch als Person, als Team, als Führungssystem auszuhalten.

4.Führungsbeziehungen gestalten: Für MitarbeiterInnen und Teams sorgen

In ihrer sozialen Verfasstheit verweisen Organisationen auf die Relevanz von gelingender Beziehungsgestaltung und auf den Erfolgsfaktor Kommunikation. Emotionen, ihre Bearbeitung, sowie Motivation und Energie der Mitarbeitenden geraten in den Blick und bilden ein zentrales Feld der Führungsintervention.

Führungskräfte sind meist Teil eines Führungsteams, sie führen ihr eigenes Team und haben in verschiedenen Kontexten direkten Kontakt zu anderen MitarbeiterInnen der Organisation. In all diesen Kontakten bilden und prägen sie soziale Beziehungen. Nur wenn es der Führungskraft gelingt, in diesen Beziehungen Anschlussfähigkeit an die Erwartungen der KollegInnen und der MitarbeiterInnen herzustellen und Vertrauen aufzubauen, können diese gut in die gemeinsame Zielverfolgung eingebunden werden.          
Die Klärung wechselseitiger Erwartungen, eine damit einhergehende Rollenklarheit und eine kontinuierliche Fortsetzung eines wechselseitigen Feedback- und Erwartungsklärungsprozesses sind ebenso grundlegend für gelingende Führungsbeziehungen wie eine Haltung der Wertschätzung, des Respekts und des Vertrauens und bilden die Basis für Engagement, Loyalität und Leistungsbereitschaft von Mitarbeitenden.

Gelingende Führungsbeziehungen sind eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass Mitarbeitende ihre personennahen Begabungspotentiale und Wahrnehmungsmöglichkeiten möglichst umfassend in die Organisation einzubringen. Oft kann in Organisationen erst dadurch  jene organizational capability entstehen, die es Organisationen ermöglicht, besonders risikoreiche und komplexe Aufgaben zu bewältigen (vgl. Wimmer 2009, S.234f.). Auf der anderen Seite einer gelungen Führungsbeziehung stehen damit aber auch Vorkehrungen, der Tendenz zur unbegrenzten Vereinnahmung von LeistungsträgerInnen vorzubeugen (Stichwort Burn-Out).

Spezielle Führungskompetenzen im Feld der Gestaltung von Führungsbeziehungen 

  • „Supportive Leadership“: Führen durch Einladen, Ermutigen und Inspirieren (siehe Blogbeitrag 10)
  • Fragen und Zuhören
  • in Kontakt kommen/ bleiben, Respekt, Achtsamkeit; Wahrnehmen von Überforderung und Unterforderung
  • soziale Intelligenz als „Fähigkeit, andere zu verstehen sowie sich ihnen gegenüber situationsangemessen zu verhalten
  • Empathie und Klarheit

5.Change: Für passende Strukturen und Prozesse sorgen

Angesichts sich dynamisch verändernder Umwelten, Kunden und Märkte (Stichworte: „Speed of Change“, Wandel ist die Konstante) besteht für Organisationen heute immer wieder die Notwendigkeit, möglichst frühzeitig Veränderungsprozesse einzuleiten und neue Strukturen zu implementieren bzw. existierende Abläufe und Prozesse weiter zu entwickeln.

Führungskräfte müssen also – parallel zu Prozessen der Routinisierung, Stabilisierung und Normierung – auch Prozesse bereitstellen, die Veränderung, Dynamik, kalkulierte Unsicherheit und Irritation auslösen und damit das System mit jener Spannung versorgen, die es zur nachhaltigen und zukunftsfähigen Erfüllung seiner Aufgaben benötigt. Entscheidungsmechanismen, Rollendefinitionen, Ablaufstrukturen, Kooperationsbeziehungen, Besprechungen, Erfolgskriterien und Erfolgsmessungen werden damit zum Thema.

Die Schlüsselfrage ist dabei immer: Passen diese Strukturen und Prozesse (noch), kann die Organisation ihre Aufgaben damit gut bewältigen? Oder besteht Veränderungsbedarf, weil sich Erwartungen von KundInnen, Technologien oder auch strategische Ziele verändert haben?

Davon ausgehend stehen folgende Fragen im Zentrum: Besteht ein "Need for Action"? Gibt es Leidensdruck und wo zeigt er sich (Zuständigkeitslücken, unklare Rollen, Konflikte...)? Was ist das Ziel? Was ist nach dem Veränderungsprozess gelöst oder ist dann anders? Welche positiven und konkreten Zukunftsbilder sind damit verbunden? Braucht es Optimierungen? Reicht es aus, Veränderungen in einigen kleineren Bereichen des Unternehmens vorzunehmen (einzelne Fachbereiche, einzelne Hierarchieebenen, einzelne Abläufe, Infrastruktur, Hilfsmittel...)? Ist ein grundlegender Wandel notwendig? Müssen auch Normen und Verhaltenweisen, Werteebenen und Regeln der Zusammenarbeit einbezogen werden? Wie entsteht echtes Commitment? Wer soll wann und in welcher Rolle in den Veränderungsprozess eingebunden werden? Wie viel Einbindung der Betroffenen ist nötig, damit die Ergebnisse tatsächlich umgesetzt werden?

In Zeiten rasanten Wandels und komplex-chaotischer Umwelten steht dabei die „Organizational Capability“ im Vordergrund in organisatorischen Alternativen und neuen Organisationsdesigns zu denken und – innerhalb des Unternehmens, aber insbesondere auch im Umgang mit KundInnen, KooperationspartnerInnen und anderen relevanten Stakeholdern – phantasievolle organisatorische Strukturen zu entwickeln.

Spezielle Führungskompetenzen im Feld Organizing und Change

  • Veränderungsbedarf wahrnehmen und zum Thema machen
  • Need for Action klären – für eine positive Zielperspektive sorgen
  • Geeignete externe Unterstützung/ Beratung hinzuziehen
  • Den Veränderungsprozess mitgestalten/ mitsteuern

6.Learning: Für Potenzialentfaltung und Innovation sorgen

Innovation steht im Zentrum der gegenwärtigen Wettbewerbsdynamik. Interessant ist das vor allem deshalb, weil das Innovationsgeschehen auf den ersten Blick nicht im Rahmen einer Organisationslogik des Stabilisierens, Planens und Berechnens organisierbar ist. Innovation korrespondiert vielmehr mit günstigen oder weniger günstigen Rahmenbedingungen und –faktoren. Dosi (1988, S.222) kam schon vor mahr als 25 Jahren zur grundlegenden und ungebrochen gültigen Schlußfolgerung „In an essential sense, innovation concerns the search for, and the discovery, experimentation, development, imitation, and adoption of new products, new production processes and new organisational set-ups”.

Ein solcher Prozess kann weder kodifiziert noch formalisiert werden, er beruht vielmehr auf vielfältigen Lernprozessen, die in alltägliche ökonomische Aktivitäten eingebettet sind und in die viele Akteure involviert sind. “Learning by doing”, “learning by using” und “learning by interacting” (Edquist 1997, 16f.) gewinnen damit an Relevanz.

Lernen beginnt dort, wo eigene Erwartungen irritiert werden und diese Irritation gleichzeitig auf eine Grundhaltung trifft, die es ermöglicht, sie auch wahrzunehmen und in einen Reflexionsprozess überzuführen: Was ist der Hintergrund der Abweichung von Erwartung und beobachtetem Ergebnis?

Oft muss hier erst hart an einer tief verwurzelten organisationskulturellen Barrieren gearbeitet werden: Wenn etwa Fehler als individuelles Versagen klassifiziert und negativ sanktioniert werden (rigide Fehlerkultur) oder wenn die Organisation von sich ein Selbstbild weitgehender Fehlerlosigkeit gebildet hat und Abweichungen gar nicht vorkommen dürfen. Hier wird die Differenz zwischen irritierender Wahrnehmung und Erwartung ignoriert, kleingeredet, als Sonderfall eines völlig zufälligen und unwahrscheinlichen Zusammenkommens von ungünstigen Umständen abgetan oder sonstwie gerechtfertigt und kleingeredet.

Der Magic Moment of Learning entsteht also in jenem kurzen Moment zwischen dem Eintreten der Irritation/ Überraschung und dem Übergehen zur Normalität. Diesen Moment gilt es zu nutzen, wer hier zu lange wartet, dem wird die Lernchance im Sog des Alltagsgeschäftes wieder entschwinden.

Aufgabe von Führungskräften in diesem Kontext ist es vor allem, als Schnittstelle zu den relevanten Umwelten zu fungieren, um die Organisation, „mit den notwendigen Irritationen und Anstößen aus der Umwelt bzw. von den Kunden zu bzw. von den Märkten zu versorgen.“ (Wimmer und Schumacher 2009, S.175). Und gleichzeitig auch dafür Sorge zu tragen, daß passende Zeiten und Räume vorhanden sind, um die mit diesen Irritationen verbundenen Lernchancen zu nutzen. In der Organisation sollen damit Lernprozesse und Entwicklungsprozesse angestoßen werden, die eine Differenz zu sich selbst erzeugen, also zur eigenen Perspektive als Führungskraft, zum Führungssystem, zu organisatorischen Routinen und Strukturen.

Die Kunst der Lernintervention und des Kreierens von Lernkontexten besteht daher auch darin, zumutbare Irritationen zu designen,

„ (…) to optimize the degree of difference and irritation. If there is nothing new to experience, there is little to learn. But the same happens if there is too much difference – if you teach high school content to a first grader, even the smartest cannot learn.” (Deiser 2010, S.25f.)

“Creating ´designed spaces of irritation´ is at the heart of the learning practice, no matter if the space is a classroom, an organization or a business process.” (Deiser 2010, S.26)

Spezielle Führungskompetenzen im Feld des Learning

  • Relevante Umwelten in der angemessenen Komplexität beobachten,  relevante Unterscheidungen wahrzunehmen und als Entwicklungsimpulse in/ an jene Personen, Organisationsteile und Stakeholder zu spielen, die damit ihr Potenzial im Sinne der Organisationsstrategie entfalten können.
  • Räumedes Dialogs und des Lernens/ Lerngänge auf den Weg zu bringen (d.h. fördern, unterstützen, begleiten, mitsteuern)
    • welche auch in die Lage versetzen, existierende kognitive Landkarten zu erschüttern und eine Sensitivität für künftige Herausforderungen und Veränderungsnotwendigkeiten entstehen zu lassen.
    • welche die Entfaltung von Potentialen stimulieren, zB. durch die maßgeschneiderte Abfolge von dialogischem Austausch, externen Perspektiven, spannenden Inputs von Außen, inspirierenden Fragestellungen, schöpferischen Gesprächen, Gruppenübungen und Probehandeln.
    • welche aus dem Abarbeiten und Reagieren immer wieder auch ein bewusstes Handeln und Gestalten von Zukunft machen.
    • in welchen sich das für den Leistungsprozess und den Prozess des Organisierens relevante Wissen emergent bildet und die Begrenzungen der Räume so zu setzen, dass das Wissen outputorientiert und strategieanalog gebildet wird
  • Die Lernprozesse co-steuern, d.h. immer wieder auch beobachten, was aus den Entwicklungsimpulsen geworden ist, Hypothesne bilden, neue Impulse/ Interventionen.

7.Konflikte bearbeiten: Für handlungsfähige MitarbeiterInnen und Teams sorgen

Industriebetriebe, Forschungsinstitute, Architekturbüros oder Non-Profit Betriebe: Moderne Organisationen weisen eine enorme Leistungsfähigkeit auf. Doch sie produzieren gleichzeitig Koordinationsprobleme, Überforderung und zwischenmenschliche Reibungen. Organisationen werden zur geeigneten Bühne für Konflikte, da in Organisationen immer unterschiedliche Logiken zusammen gebracht werden müssen (zB.: ökonomische Logik, Expertenlogik, Technische Logik, bürokratische Logik, Ausbildungslogik etc.) und Widersprüche daher quasi konstitutives Element von Organisationen und einer komplexen Arbeitsteilung sind.

Zunächst ist für Führung also Folgendes relevant:

„Je mehr Widersprüche eine Organisation verträgt, ohne ihre Funktionsfähigkeit einzubüßen, desto besser kann sie sich weiterentwickeln und an Umweltveränderungen anpassen.“ (Schwarz, Konfliktmanagement, S.29)

Gleichzeitig tendieren Konflikte aber auch zur Eskalierung, sie werden als Kampfsituationen wahrgenommen und entfalten eine innere Konfliktdynamik, die eine friedliche, konstruktive und gewaltfreie Regelung zunehmend macht. Konflikte bedürfen daher der Intervention und Entschärfung durch Führung.

Es gilt zu klären, auf welcher Ebene der Konflikt tatsächlich verortet ist. Auf den ersten Blick – und leider geht Konfliktintervention all zu oft nicht über diesen ersten Blick hinaus -- werden Konflikte auf der Personenebene verortet: A ist B unsympathisch und/ oder umgekehrt, daher können die beiden nicht miteinander. Tatsächlich steht oft ein Problem auf der Struktur- und Prozessebene dahinter (A vertritt die Logik des Verkaufs; B vertritt die Logik der Forschung und Entwicklung) manchmal auch ein Problem auf der Ebene der Gruppendynamik.

Führungsinterventionen in Konflikte sollten daher primär versuchen, Konflikte zu entpersonalisieren und nach den dahinter liegenden Widersprüchen fragen. In der Folge gilt es  einen emotional sicheren sozialen Rahmen für die Auseinandersetzung zwischen den Konfliktparteien zu schaffen (zB.: extern begleitetes Konfliktlösungsgespräch, Etablierung eines Verhandlungssystems), der geeignet ist den Konflikt zu de-eskalieren. Je nach Bedeutung des Konfliktes und dem Grad seiner Eskalation kann die Führungskraft hier selbst in eine vermittelnde Rolle schlüpfen oder mit externer Hilfe ein Bearbeitungssystem etablieren.

Spezielle Führungskompetenzen im Feld der Bearbeitung von Konflikten

  • Konflikte wahrnehmen und in geeigneter Form zwischen den Konfliktparteien zum Thema machen
  • Ein emotional sicheres Bearbeitungssetting auf den Weg zu bringen
  • Je nach eigener Rolle die Konfliktbearbeitung mitsteuern
  • Erkenntnisse aus dem Konflikt für allfällige Maßnahmen der Organisationsentwicklung nutzen

8.Kooperieren – Für nachhaltiges Überleben in einem starken Partner – und Stakeholdernetzwerk sorgen

Vor dem Hintergrund eines komplex-dynamischen Wirtschaftsumfeldes wird es auch immer weniger wahrscheinlich, dass eine wirtschaftliche, technische oder gar gesellschaftliche Problemlage von einer Organisation sinnvoll allein zu bearbeiten ist. Es zeigt sich auch, dass dort wo früher hierarchisch aufgebaute Unternehmensriesen Produkte und Leistungen ´In-House´ erstellt haben oder Verwaltungsorganisationen Versorgungsleistungen direkt erbracht haben, heute diese Güter und Leistungen von einer Vielzahl eigenständiger und damit eigensinniger Betriebe zur Verfügung gestellt werden.

Die Fähigkeit zur Kooperation wird daher zum kritischen und entscheidenden Wettbewerbsfaktor.

Es geht darum, an den und über die Grenzen der eigenen Organisation hinaus Prozesse des Kollaborierens zu etablieren, distributed co-creation processes, dieses neue Interface sorgfältig auszugestalten und damit neue Grenzen/ Grenzformen zu gestalten.

Doch Kooperation ist auch notwendigerweise mit dem Verlust direkter Kontrolle verbunden. Im entstehenden Multi-Stakeholdernetzwerk gibt es keinen Boss und keinen Vorgesetzten, keine vordefinierte Macht und Autorität. Damit wird Führung dort auch anspruchsvoller und komplexer, auch weil Interessenkonflikte, Wertekonflikte und normative Herausforderungen zunehmen.

Es braucht Zusammenarbeit durch Verhandlung und Aushandlung und neue Formen von Verbindungen und Kopplungen zwischen Organisationen. Dies ist eine neue, sehr anspruchsvolle Aufgabe: Wie können bindende Kommunikations-, Arbeits- und Entscheidungsstrukturen zwischen Organisationen eingeführt werden? Wie kann Kooperation und Konkurrenz balanciert werden? Wie eng oder lose sollen Kooperationen und Netzwerke geknüpft werden? Welche Spielregeln sind nötig? Welche Steuerungsansätze eignen sich für das Management von Kooperationen? Wie sind Fusionen kooperativ zu gestalten?

Der Fokus verschiebt sich von der einzelnen, vertikal aufgebauten Organisation zu einem Mix horizontaler Organisationsbeziehungen wie Netzwerken, Leistungsverbünden, Clustern, Joint Ventures, Public Private Partnerships. Vor diesem Hintergrund gerät die Gestaltung von Koordinationsprozessen ins Zentrum der Frage relevanter Qualifikationen des Managements. Führungskräfte, Stabsmitarbeiterinnen, Berater stehen vor neuen Herausforderung, die spezielle und oft unterschätzte Kompetenzen benötigen.

Eine der zentralen Herausforderungen für Führung – darauf haben wir auch schon im Blogbeitrag 11 zum Thema Responsible Leadership hingewiesen – besteht daher darin, die Stakeholderbeziehungen des Unternehmens im Umfeld potenziell konfligierender Interessen und Werte zu pflegen und zu gestalten und im Falle von Konflikten einen Ausgleich/ eine Balance zwischen den werthaltigen Ansprüchen der unterschiedlichen internen und externen Stakeholder herzustellen. Das bedarf neben dem situativen Management auch der Entwicklung neuer Strukturen. Der Führungskraft kommt in diesem Sinne die Rolle eines „Weavers“ zu (Maak/Pless 2006b: 112), eines Webers von Beziehungen, eines Mediators und Netzwerkers. (Pless & Maak 2008, 235)

Spezielle Führungskompetenzen im Feld der Kooperation

  • Die Fähigkeit sich mit externen Umwelten auseinander setzen zu können, also zum Beispiel mit unterschiedlichen professionellen Sprachen, unterschiedlichen Anspruchsgruppen, unterschiedlich kulturellen Rahmenbedingungen.
  • Kenntnisse über die Eigenlogik von Großgruppen und Kompetenz in der Leitung von Großgruppeninterventionen (organisationsübergreifender Multi-Stakeholder-Ansatz)
  • Kompetenz in organisationsübergreifender Prozesssteuerung
  • Kompetenz im Umgang mit dem Erwartungsdruck unterschiedlicher ‚Stakeholder'.
  • Verhandlungsfähigkeit zur Klärung unterschiedlicher Erwartungen und zur Definition von Aufträgen, die den Möglichkeiten und Voraussetzungen entsprechen

...und zur Quintessenz

Tatsächlich dürfte die Selbstkompetenz so etwas wie die ´conditio sine quo non´ oder das Herz wirksamer Führung in volatilen Umwelten sein. Die Voraussetzung um in den oben genannten Führungsfeldern erfolgreich intervenieren zu können. Claudius Fischli, Schweizer Psychologe, Gruppendynamiker und Psychotherapeut, ortet – quasi als Kern der Verbindung von Selbstkompetenz mit den oben angeführten Interventionskompetenzen -- letztlich auch das wichtigste Steuerungsmittel und Managementinstrument für Führungskräfte:

„Das Nachdenken über sich selbst, Lagebesprechungen, die Organisation von Reflexion und Feedback sind das wichtigste Steuerungsmittel und Managementinstrument über das Führungskräfte verfügen.“  (Fischli 2012, S.44)



[1] siehe dazu insbesondere auch Blogbeitrag 5 und Blogbeitrag 11.

Selbstkompetenz

Was Führungskräfte und Organisationen können sollten, wenn sie wirksam führen wollen (1)

Verfügen Führungskräfte und Organisationen gegenwärtig über jene Kompetenzen und Fähigkeiten, die es ihnen ermöglichen, wirkungsvoll zu führen? Was sollten Führungskräfte können, angesichts eines komplexen und ambivalenten Anforderungsdschungels von turbulenten, unübersichtlichen und sich permanent verändernden Umwelten?

Diese Fragen drängen sich nach den letzten Blogbeiträgen zum Themenfeld ´Leadership im Umbruch´ geradezu auf.

Im Frühsommer 2010 führte ich ein aufschlussreiches Gespräch mit dem Österreich-Geschäftsführer eines deutschen Pharma-Unternehmens (im Folgenden Herr GF genannt).  Dieses Gespräch war Teil einer Interviewserie mit Führungskräften im Rahmen einer Studie zur Entwicklung von Führungskompetenzen, die ich gemeinsam mit KollegInnen der Universität Klagenfurt damals durchgeführt habe (Mayer et al. 2010). Interessant war dieses Interview für mich vor allem deswegen, weil es ein zentrales Ergebnis der gesamten Studie fast prototypisch auf den Punkt brachte: Die überragende Bedeutung von Selbstkompetenz als Gesamt von emotionalen und sozialen Kompetenzen und von Kompetenzen der Selbstthematisierung und Selbstreflexion.

Selbstkompetenz als Herz der Führungskompetenzen

Auf meine Frage, welche Herausforderungen sich für seine Organisation mit Blick auf eine mögliche Führungsentwicklung stellen, verweist Herr GF zunächst auf die gerade für junge Führungskräfte sich stellende Herausforderung, das eigene Selbstbild durch Abgleich mit Fremdbildern zu relativieren und zu entwickeln.

„Am Anfang, gerade für die, die am Anfang der Laufbahn stehen, gibt es ein paar grundsätzliche Dinge, die ich für sehr wichtig halte. Das eine ist Selbstreflexion, Eigenbild/Fremdbild, daß man da sehr früh beginnt, weil ich erlebe auch bei jungen Leuten oft schon, daß sie glauben, sie haben schon das Zeug für den großen Marketingleiter und wundern sich warum sie nicht an der Stelle sitzen, aber es fehlt völlig an diesem realistischen Eigenbild.“

Ein zweiter daran anknüpfender Punkt zielt auf die Notwendigkeit, sich selbst relativieren und hinterfragen zu können und Fehler eingestehen zu können

„Also das habe ich früher unterschätzt und da schaue ich heute mehr darauf und das man da halt konsistent ist seinem Handeln. Und wenn man dann einmal nicht konsistent war auch bereit ist, sich zu entschuldigen und zu sagen, nein da habe ich mich falsch entschieden, weil das passt eigentlich nicht und aus den und den Gründen nehme ich die Entscheidung zurück. Also auch das gehört dazu.“

Ein weiterer Punkt stellt auf eine achtsame Kommunikation ab, um Gemeinsamkeiten zu finden und Konflikten vorzubeugen.

„Das, ich meine ich bin da halt auch ein bisschen Konstruktivismus, ich sage halt der Griff ist rechts und die sagen der ist links und beide haben recht. Man versucht die Sichtweise des anderen erst einmal zu verstehen bevor man seine Dogmen aufstellt. Es ist ja nicht so, dass man im Alter zwingend klüger wird, oft wird man ja auch engstirniger und ich glaube das ist ein zweiter wichtiger Punkt, daß man hier einfach auch vom Gespräch von der Kommunikation, wenn ich sehe wie viele Konflikte einfach nur deshalb entstehen, weil beide recht haben und beide recht haben wollen und dann aber nicht mehr versuchen, das auch mal zu klären, warum das so ist.“

Der letzte Punkt weist auf die Sensiblität für Strukturen und Regeln und deren Entwicklung hin.

„Und das vierte ist halt so ein bisschen sehr schwer zu lehren glaube ich, weil das muss man erleben, dass man so im Zusammenleben gewisse Regeln braucht, damit die Einzelnen sich dann frei entfalten können. Und das ist für mich was, wo ich halt auch mit den Kindern gelernt habe und ob das im Unternehmen oder mit den Kindern oder im Sportverein ist, das ist überall das gleiche. Wenn die Regeln nicht klar sind, dann weiß keiner wie weit er gehen kann, und sieht auch gar nicht, welche Freiräume er hat und dann gibt es unnötige Verletzungen und Kompetenzstreitigkeiten.

Tatsächlich bestätigen die schon angesprochene Studie (Mayer et al. 2010) sowie auch viele Gespräche die ich im Rahmen von Trainings und Beratungen immer wieder führe, die besondere Relevanz der von Herrn X angesprochenen Themenfelder.

Die Kompetenz der Selbstführung wird immer wieder prominent angesprochen und zwar unter folgenden Gesichtspunkten:

  • Innehalten;
  • Wahrnehmen, Beobachten und Unterscheiden; die Fähigkeit Beobachtungen zu machen, Unterschiede und Widersprüche wahrzunehmen und erstmals beschreibend zu verarbeiten (nicht gleich erklären und bewerten);
  • relevante Unterschiede und Widersprüche zwischen dem Selbst und anderen wahrzunehmen, erst einmal auszuhalten und damit einen Umgang zu finden; dabei eigene Gefühle wahrnehmen, beschreiben, befragen und einschätzen – Gefühle zum Denken nutzen und nicht gleich dem ersten Handlungsimpuls zu folgen;
  • die Fähigkeit, Distanz zu entwickeln zum unmittelbaren Geschehen, zu den unmittelbar drängenden Entscheidungsnotwendigkeiten, so etwas wie innere Distanz zu gewinnen, um besser entscheiden zu können;
  • die Eigenschaften der eigenen Persönlichkeit kennen(lernen) und die eigenen Interessen und Werte zu ergründen;
  • sich selbst motivieren zu können und Gratifikationen aufschieben zu können;
  • Empathie zu üben, sich auf Personen und Situationen einlassen;
  • Präsent zu sein, als Fähigkeit, sich auf das zu konzentrieren, was im Hier und Jetzt geschieht;
  • In guter Verbindung zu sich selbst und den eigenen Bedürfnissen zu sein und gleichzeitig auch zu meinen KommunikationspartnerInnen und ihren Bedürfnissen;
  • Fragen und Zuhören lernen, andere Perspektiven wahrzunehmen und Feedback nachzufragen wie Feedback zu geben;
  • Das notwendige Maß an Selbstreflexion zu entwickeln und in der Lage sein, das eigene Bild individuell und kollektiv mit dem Fremdbild anderer Bezugsgruppen zu verbinden;

Ich habe im Blogbeitrag 10 zum Thema ´Neuroleadership´ schon ausgeführt, daß die Entwicklung und Aktivierung eines Systems der Selbststeuerung im Kontext erfolgreicher Führung auch für die neuere Hirnforschung von zentraler Bedeutung ist. Erst der gelingende Zugriff auf das Selbst verbindet erkennende und kognitive Leistungen mit Emotionen und Körperwahrnehmungen und bezieht dadurch Informationen wie es zB. um die eigene Bedürfnisbefriedigung aussieht in Entscheidungsprozesse mit ein.