Februar 2014

Responsible Leadership - oder die Rückkehr von Werten und Verantwortung in die Organisation

von Kurt Mayer (Kommentare: 0)

Leadership im Umbruch (8)

Führungskräfte und Management sind ins Gerede gekommen. Insbesondere im Gefolge der Finanzkrise und begleitend zu Umweltkatastrophen wie der von BP verursachten Ölpest im Golf von Mexiko oder dem Reaktorunfall in Fokushima war in den Medien immer wieder die Rede von der ´Gier der Bankern und Manager´. Und von Führungskräften, welche die ´Bodenhaftung verloren´ hätten, ´unter zunehmendem Realitätsverlust´ litten, in ´Selbstbedienungsmentalität nur mehr in die eigene Tasche´ wirtschafteten, ´ausschließlich den schnellen Profit und eine kurzfristige Gewinnorientierung im Kopf hätten´ und bei schlechter Peformance mit einem ´goldenen Fallschirm´ rechnen könnten.

Veränderte gesellschaftliche Erwartungen an Führungskräfte...

In den allermeisten Fällen wurde diese Kritik an der unternehmerischen Führung moralisierend vorgetragen und als persönliches charakterliches Versagen der Manager als Individuen angeprangert. Systemische Aspekte des vermeintlichen Managementversagens blieben dabei weitestgehend ausgeblendet. Die daran anknüpfende öffentliche Debatte erschöpfte sich in Klischees und Kampfrhetorik vor allem mit Blick auf die Höhe der Managergehälter. Eine tiefer gehende Auseinandersetzung mit der Frage des Handeln und Lernens von Führungskräften und Organisationen im Kontext der gesellschaftlichen Krisenphänomene blieb bislang aus.

Gerade eine solche sollte aber dringend entfacht werden, sind doch Führungskräfte heute einerseits mit einem drastischen Verfall des Vertrauens seitens weiter Teile der Bevölkerung konfrontiert, andererseits aber genau so mit rasant steigenden Erwartungen der Gesellschaft an die Ziele und die Wirkung des Managements -- wie z.B. „Not harming the environment“, „Treating employees fairly“, „Ensuring responsible supply chain“ , „Providing quality products/services at lowest price”, “Reducing impact on climate change” (Mirvis et al. (2010).[1]

Vor dem Hintergrund, dass die politischen Systeme als Lösungsfeld der großen Probleme derzeit kaum Wirkungskraft mobilisieren und selbstreferentielle politische Spiele die Bühne dominieren (Stichworte: Verwaltungsnotstand in den USA oder die Schuldebatte in Österreich) sind Unternehmen und Führungskräfte zunehmend mit der Erwartung von immer mehr Stakeholdern konfrontiert, mehr Engagement, Einsatz und Verantwortung für grundlegende Problemstellungen unserer Zeit zu zeigen.

......und die Frage der Verantwortung

Zweifellos: Führungskräfte haben -- gerade in einer sich globalisierenden, komplexen, vernetzen und turbulenten Welt in der zentrale Steuerungsressourcen der Politik weitgehend ausgehöhlt scheinen – Macht, Mittel und Möglichkeiten diese Welt und damit auch ihre Probleme und Lösungen mitzugestalten. Aber wofür sind Führungskräfte hier wirklich verantwortlich, wofür können sie verantwortlich gemacht werden?

Was heißt verantwortliche Führung? Und wer ist hier wem gegenüber verantwortlich? Wo besteht Mitverantwortung für die Lösung gesellschaftlicher Probleme? Wo macht Einmischung Sinn, und wo ist sie vielleicht auch wenig wünschenswert?

In den letzten Jahren hat sich die Führungsforschung vermehrt mit diesen Fragen beschäftigt. Und dabei – abseits der oben angesprochenen moralisierenden Zeigefingerrhetorik -- im Spiegel der Diskurse von Responsible Leadership, Transforming Leadership und Competing Values Leadership eine Vielfalt von interessanten und praxisrelevanten Fragestellungen und Einsichten zu Tage gefördert.    
Aber auch Führungskräfte und Organisationen ließen und lassen sich vermehrt auf eine ernsthafte Auseinandersetzung mit diesen Fragen ein. Daraus sind ebenfalls schon eine Menge an interessanten Praktiken, Initiativen und Good Practices entstanden.

Im Folgenden möchte ich einige dieser Fragen, Erkenntnisse, Praktiken und Beispiele, die ich für besonders interessant halte, vorstellen und diskutieren; und dann insbesondere auch deutlich machen, daß sich daraus gerade für die Führungsentwicklung und die Organisationsentwicklung nicht unwesentliche Konsequenzen ergeben.

Handlungsleitende aber überholte Bilder von Führung und Management

Es sind traditionelle und dennoch aktuelle Bilder und verfestigte gesellschaftliche Vorstellungen von Führung und auch von Führungsverantwortung die uns prägen und die unsere Handlungen orientieren. Diese Bilder geraten in jüngster Zeit in Kritik, vermehrt auch vom Management selbst, von BeraterInnen und von der Managementforschung.

Ein antiquiertes ´Maschinen Mindset´ von Führungskräften[2]

Danica Purg (2013), Leiterin der IEDC Business School in Bled und bekannte Management-Vordenkerin, stellt hinsichtlich des vorherrschenden Denk- und Handlungsparadigmas von Führungskräften fest, dass -- ausgehend von der betriebswirtschaftlichen Theoriebildung und anknüpfend an die Newton´sche Mechanik -- immer noch stark das Vorherrschen eines antiquierten ´Maschinen-Modells´ das Mindset der Führungskräfte bestimmt. Folgende Logiken sind dafür charakteristisch:

  • Analytisch-trennender und zerlegender Zugang in der Organisationsdiagnose
  • Der Blick auf die Personen als austauschbare Komponenten
  • Spezialisierung als dominante Erfolgsstrategie für Organisationen
  • Das Ausblenden der Selbstorganisations, Selbtsentfaltungs- und -heilungskräfte in Organisationen: Organisationen müssen entweder quasi von Aussen durch das Management erhalten und gesteuert werden oder sie gehen unter.

Führung ist persönliches Charisma rationaler autonomer Heldenfiguren

"Wenn wir heute von einer globalen Krise sprechen, dann sprechen wir zugleich von einer Krise der Führung. Denn Führung hat die Umstände geschaffen, die jetzt beklagt werden. Dabei richtet sich die Aufmerksamkeit hier weniger auf die einzelnen Führungspersonen, sondern auf Führung als gesellschaftliches Phänomen. (...)

Das „narzisstische Zeitalter“ hat ein Führungsideal hervorgebracht, das Führung auf persönliche Merkmale und angeborene Fähigkeiten (wie etwa „Charisma“) reduziert und zu einer Frage der einzelnen Persönlichkeit macht. Es handelt sich dabei um eine Verwechslung oder Gleichsetzung von Führung und Führungskraft. Die entscheidenden Fragen lauten deshalb: Welche Aufgaben hat Führung? Was soll eine Führungskraft tun?" (Seliger 2009, S.22f.)

Ruth Seliger – Wiener Unternehmerin, Beraterin, seit vielen Jahren im Geschäft der Führungsentwicklung aktiv – bringt es auf den Punkt: Die Krise ist eine Krise der Führung und des gesellschaftlichen Ideals von Führung mit seiner Fixierung auf Helden mit Charisma und ihrer moralischen Glorifizierung.

Interessant ist, dass dieses Bild vom charismatischen Helden ergänzt wird vom Bild der Führungskraft als rationalem und autonomem Akteur. Das scheint ein Widerspruch zu sein, beruht doch die Führungswirksamkeit von Charisma in erster Linie auf emotionalen Qualitäten und bleibt gerade auch durch die Abhängigkeit von der emotionalen Zuschreibung durch die Followers immer auch eine ziemlich fragile Angelegenheit.           

Die Verteilung von ratio und emotio scheint irgendwie in Unbalance zu sein: Hier die rational agierenden und Emotion auslösenden Führenden, dort die emotional empfänglichen Geführten.

Die einzige Verantwortung von Führung besteht in der Erhöhung von Profiten

„There is one and only one social responsibility of business – to use its resources and engage in activities designed to increase its profits so long as it stays within the rules of the game, which is to say, engages in open and free competition without deception or fraud.“  (...).“ (Friedman 1970: 55).

Als sogenannte Friedman-Doktrin prägt diese – über eine Unzahl von MBA-Lehrgängen vermittelte -- Vorstellung der Engführung von Führungsverantwortung auf die Erhöhung von Profiten mittlerweile mehrere Generationen von Managementverantwortlichen seit den 1970er Jahren. 
Dennoch denken und handeln Führungskräfte heute zum Teil auch anders. Exemplarisch dafür Ray Anderson, Chairman von Interface, einem mittelgroßen Hersteller von Teppichböden in den USA:

„A corporation makes a profit to exist. It’s not the other
way around. It’s doesn’t exist just to make a profit. And, in my view, it ought to exist for some higher purpose than just shareholder value. And that higher purpose extends to responsibility for all creation. At least to the extent that [the] corporation intrudes on creation, intrudes on the natural systems, it has a responsibility to reduce that footprint.

It has a responsibility to all the stakeholders as well the people that work for and make up that company. The company is its people and the customers and the suppliers and the communities where the company operates. It has a responsibility in all of those directions. So the purpose of the corporation is to take into account all stakeholder interests.“ (zit. in Mirvis et al. 2010, S.11)

Gute Führung ist effektive Führung – Effektive Führung ist wertneutral

Vor diesem Hintergrund ist nicht verwunderlich, dass auch die Führungsforschung im ausgehenden 20.Jahrhundert im wesentlichen auf die Frage der effektiven Zielerreichung messbarer Ziele beschränkt blieb, wie etwa Produktivität, Profitabilität, Shareholder-Value oder KundInnenzufriedenheit und zwar „without concern as to the ‚goodness’ or the end or of the means“ (Freeman et al. 2006, zit. In: Pless & Maak 2008, S,229). Die effektive Zielerreichung kann daher auch nicht Gegenstand einer Reflexion aus einer ethischen oder werthaltigen Perspektive sein, sie ist innerhalb dieses Denkrahmens wertneutral (Pless & Maak 2008, S.229).

Auch dieser Frame des alten Führungsparadigmas wird zunehmend in Zweifel gezogen. Eine Veränderung der Werte und eine Orientierung an Werten wird von Führungskräften eingefordert, in der nachfolgenden Passage von Anita Roddick, Gründerin und langjährige Lenkerin von Body Shop:

„We, as business leaders, can and must change our views and our values. Less than a century ago, visionary business leaders were hooted out of business associations for saying that businesses had a responsibility to support charity; they were told that the concept of “good corporate citizenship” was radical pap.... Depressions and world wars changed them; global poverty and environmental destruction must change us now.“ (zit. in Mirvis et al. 2010, S.15)

Gegenstand von Führung sind dyadische Führungsbeziehungen in hierarchischen Organisationen

Unsere leitenden Bilder von Führung wurden in der Hochblüte von Taylorismus und Massenproduktion ab Mitte des 20.Jahrhunderts aus der Erfahrung mit hierarchischen und bürokratischen Organisationen generiert. Dementsprechend tayloristisch geprägt ist auch das Organisationsverständnis, das mit diesem Führungsverständnis verbunden ist: Organisationen als hierarchisch geordnete und rationale Gebilde zur Herstellung von Planbarkeit, Berechenbarkeit und Ordnung (siehe dazu Blogbeitrag 4). Innerhalb dieser Organisationen wurden Führungsbeziehungen dyadisch entlang einer vertikalen Achse gedacht: Am einen Ende der/ die denkende Führende, am anderen Ende der die ausführende MitarbeiterIn.

In heutigen Organisationen sind MitarbeiterInnen jedoch nur noch EINE von mehreren Gruppen im Stakeholder-Portfolio neben Kunden, Zulieferern, Technologiepartnern, anderen Kooperationspartnern, Behörden und/ oder der Kommune vor Ort. Der Fokus von Führung verlagert sich daher auf Aktivitäten des

...building, cultivating and sustaining trustful relationships to different stakeholders, both inside and outside the organization, and in coordinating responsible action to achieve a meaningful commonly shared business vision. (Maak 2007, S.331)

Komplexe Stakeholdernetzwerke als neue Räume für die Bildung von verantwortlicher Führung

Gerade dieser letzte Punkt zeigt die Grenzen des traditionellen im Industriezeitalter geprägten Führungsverständnisses auf. Organisationen sind heute fast unvermeidlich in mehr oder weniger komplexe Stakeholdernetzwerke eingebettet. Daraus entstehen Anforderungen an Führung und Führungsbeziehungen, die im Rahmen des alten Paradigmas nicht bearbeitet werden können. Denn im Rahmen dieses Paradigmas wurden keinerlei Sensorium dafür ausgebildet, Werte und ethische Grundorientierungen wahrzunehmen und zu entwickeln. In Unternehmen war es daher auch lange nicht üblich ethisches Orientierungswissen zu generieren.

Wir beobachten, dass sich Organisationen zunehmend – wenn auch mit großen Unterschieden nach Branche, Organisationsgröße und regionalen Spezifika -- in Richtung flacherer und organischer Organisationsformen verändern, welche sich um ihre Kerngeschäft und ihre Kernkompetenzen herum aufstellen, viele andere Tätigkeiten aber outsourcen bzw. in Kooperationen gemeinsam mit Partnern bearbeiten (Deiser 2010). Damit gewinnen – neben den MitarbeiterInnen -- auch externe Anspruchsgruppen wie KundInnen, Zulieferer, Kooperationspartner, Regulierungsbehörden, Medien, NGOs etc. zunehmend Einfluss auf die Tätigkeit und Entwicklung der Organisation. Das hat wesentliche Auswirkungen auf Anforderungen, Aufgaben und Handlungsspielräume von Führung.

Von dyadischen Führungsbeziehungen zu Führung als Stakeholder Phänomen

Abseits der Beziehung von Führungskraft und MitarbeiterInnen wird Führung zunehmend zum Stakholder-Phänomen, d.h. Beziehungen zwischen Führenden und Geführten als gleichrangige Stakeholder gewinnen an Relevanz. Das entstehende Universum an Stakeholdern will gestaltet und gesteuert werden, eine Schlüsselaufgabe von Führung.

Führen ohne die Ressource von Positionsmacht und Hierarchie

In solchen Stakeholdernetzwerken an den Grenzen der Organisation gibt es allerdings in aller Regel keinen Chef und auch keine Mitarbeitenden. Auf die vertrauten Ressourcen von Positionsmacht und Hierarchie muss meist gänzlich verzichtet werden und es stellt sich die Schlüsselfrage: „Can an organizational leader be effective with no reliance on institutionalized power or authority?“ (Schneider 2002, S.209).

Ohne vordefinierte Macht und Autorität wird Führung äußerst anspruchsvoll und komplex, insbesondere auch, weil in diesem Universum von Stakeholdern mit unterschiedlichen Werten und Interessen zu rechnen ist.

Führen in einem Umfeld von konkurrierenden Werten

Führung findet damit in einem Umfeld von (mehr oder weniger latent) konkurrierenden Werten und Interessen statt. Das ist tendenziell ein Nährboden von Konflikten, die jederzeit aufpoppen können und das auch immer wieder tun. Ziel ist es, mit diesen zum Teil konfligierenden Werthaltungen diverser Anspruchsgruppen einen reflektierten werthaften und verantwortlichen Umgang zu finden.

Erfolgreich ist Führung hier dann, wenn es gelingt mit den unterschiedlichen Stakeholdern in einen Aushandlungs- und Kommunikationsprozess zu treten, die relevanten Unterschiede transparent und verhandelbar zu machen (d.h. relevante Ansprüche müssen auch adäquat formuliert werden) und immer wieder Ausgleich und Balance zwischen den wertbasierten Ansprüchen der verschiedenen internen und externen Stakeholdergruppen herzustellen.

Dazu braucht es einen verständigungsorientierten Umgang mit diesen Stakeholdergruppen, Beziehungsgestaltung zu diesen Stakholdern und adäquate Kommunikations- und Verhandlungssysteme. Führungskräfte nehmen hier die Rolle eines „Weavers“ ein „eines Webers von Beziehungen, eines Mediators und Netzwerkers.“ (Pless & Maak 2008, S.235)

Führung braucht Werte und Wertbewußtsein

Um diese Prozesse des Webens eines Beziehungsnetzwerks, des mehr oder weniger permanenten Aushandelns und Balancierens von unterschiedlichen Interessen und Werten wirkungsvoll leisten zu können braucht Führung darüber hinaus auch Bewusstsein und Klarheit über eigene persönliche Werte (Was ist mir wichtig?) bzw. die Werte der eigenen Organisation (Was ist unserer Organisation wichtig?). Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede bestehen zwischen eigenen Werten und den Werten der relevanten Bezugssysteme (Organisation, diverse Stakeholder, Gesellschaft).        
Interventionen im Sinne eines Ausgleichs von Balancen in diesem Multi-Stakeholder Netzwerk werden nur dann gelingen können, wenn die intervenierende Führungskraft vorab eine gewisse Grundklarheit über die eigene Wertelandkarten in Relation zu anderen relevanten Wertlandkarten  hat. Dies ist sozusagen das relevante ethische Orientierungswissen, das erst eine Navigation im und durch den ´Stakeholderwertedschungel´ ermöglicht.

Responsible Leadership kann nur im konkreten Kontext und seinen Widersprüchen entwickelt werden

Erst auf dieser Basis einer klaren Wertelandkarte kann in der konkreten Auseinandersetzung und im Diskurs mit den relevanten Stakeholdern einer Organisation ermittelt und entwickelt werden was Responsible Leadership letztlich ausmacht. Verantwortliche Führung in diesem Geflecht vielschichtiger Stakeholderbeziehungen heißt Werte und Interessen wahrzunehmen, Widersprüche zu erfassen, aufzugreifen, in Aushandlungsprozesse zu bringen, zu balancieren,  und auf diese Weise gemeinsame Wertorientierungen und kooperative Wertschöpfungsprozesse auf Augenhöhe (weiter) zu entwickeln. Aussagen darüber, was verantwortliche Führung ausmacht oder woran Führungserfolg in einer Multi-Stakeholder Gesellschaft zu messen ist lassen sich nur in einem Auseinandersetzungs- und Reflexionsprozess klären (Pless & Maak 2008).

Verantwortung als normative und ethische Orientierung kann nur auf diese Weise und in diesem Kontext entstehen, und nicht jenseits davon oder durch Zuruf von Außen. Dadurch entstehende geteilte Werte und ethische Grundorientierungen. Als gelebte Ethik wurzeln und manifestieren sie sich damit in den alltäglichen Prozessen, sie sind ursächlich mit der Praxis verbunden. Dies ist der Unterschied zu einer Ethik, die in Ethikkommissionen erdacht wird. Dies ist äußerst relevant, denn überall dort, wo es keine Praxis und keine Umsetzung gibt wird normative Handlungsorientierung (die es ja dann als Handlung nicht gibt) von Außen aufgesetzt und moralisch. Es kommt dann eher zu einer Entethisierung durch Ethik, als Zeigefinger der entweder gehoben drohend oder verspottend von außen/ oben auf das zu treffende System zeigt. Das ist genau was in den letzten Jahren als Managerbashing (oder im anderen Fall auch als Politikerbashing) zunehmend passiert.

Ethische Orientierungen müssen daher immer als Teil der Organisations- oder Systemkultur kultur mit-gebildet werden. Ethik muss im professionellen Handeln angelegt und manifestiert sein. Denn nur so können relevante Widersprüche des Feldes erfahren, wahrgenommen, reflektiert und thematisiert werden und dann dieses Widerspruchsfeld mit Wertorientierungen zu konfrontiert und ausbalanciert werden. Diese Widersprüche erfordern es „sich mit ihnen grundlegend auseinanderzusetzen und sich permanent an ihnen „abzuarbeiten“ und dabei auftretende Konflikte nicht zu scheuen. Sie sind als notwendigen Teil des „Widerspruchsmanagements“ zu begreifen.

Die Einbeziehung von Stakeholdern treibt die nachhaltige Entwicklung voran

Stoner und Wankel (2009, S.10f.) gehen davon aus, dass das bewusste Einbeziehen von externen Stakeholdern tendenziell zu einem mehr auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Unternehmenshandeln führt, da dadurch eine Strategie des langfristigen Überlebens von Organisationen – im Gegensatz zu kurzfristigen Profitinteressen – wieder mehr in den Blick gerät.

Eine Möglichkeit von Responsible Leadership ist hier der bewusste Aufbau und die Gestaltung von Beziehungen zu kritischen NGOs. NGOs können dann ´Issues Leadership´ übernehmen, indem sie Führungskräfte darin beraten, wie ein Unternehmen seiner sozialen und ökologischen Verantwortung besser gerecht wird (zB: Chiquita und Rainforest Alliance oder die zB: strategische Partnerschaft von Timberland und City Year).

Die Zivilgesellschaft als relevanter Stakeholder

Eine organisierte und starke Zivilgesellschaft als Protagonistin und Terrain lebendiger, kritischer und innovativer Diskurse und Konflikte kann ein entscheidender Hebel sein, um relevante Stakeholder-Perspektiven und Interessen aus den Umwelten der Organisationen (MitarbeiterInnen, ökologische Ressourcen, neues Wissen etc.) an die Organisationen heranzutragen und einzufordern.

This causes manifold challenges for both profit and non-profit organizations regarding its exchange with its environments. They are obliged to confront themselves with a wide range of different stakeholders, both internally and externally. Looking at the international political and economic development clearly shows that the exchange with the organized civil society will be a driving force for both the local and the global development. And this development will be predominantly driven by the exchange between big, innovative and successful enterprises and stakeholders of the civil society. Phil Mirvis et al. have observed and accompanied this development over a long period in their work on “Corporate Citizenship” (Grossmann 2013)

Die System- Umwelt- Überlebenseinheit als Analyse- und Handlungsrahmen für Führung in der MUlti-Stakholdergesellschaft

Die neuere Systemtheorie liefert für Führung in der Multi-Stakeholdergesellschaft mit der theoretischen Konstruktion der „System-Umwelt-Überlebenseinheit“ einen brauchbaren auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Analyse- und Handlungsrahmen: Wie alle lebenden Systeme sind Organisationen an ihrem Überleben und an der Aufrechterhaltung ihrer Identität interessiert. Wenn man die Organisationen/ Systeme mit ihren relevanten Umwelten – also den MitarbeiterInnen, dem Wissen, den Märkten, den Shareholdern, den AkteurInnen der Zivilgesellschaft, den KundInnen – als Überlebenseinheit denkt, dann erfordert das auch eine aktive Auseinandersetzung der Unternehmen mit ihren Umwelten. Und in der Folge ein vitales Miteinander als Überlebens- und erfolgssichernde Maßnahme.   
Im Gegensatz dazu suchen derzeit viele Unternehmen „den Erfolg zu Lasten dieser Umwelten durch Externalisierung von Kosten zu den MitarbeiterInnen, dem nationalen politischen System, den öffentlichen Haushalten und der physischen Umwelt.“ (Grossmann et. al 2007, S.61). Und dennoch zeigen die Befunde aus den dargestellten Leadership-Studien (siehe oben) hier auch Tendenzen einer Trendwende.

Was Organisationen und Führungskräfte tun können, wenn sie verantwortliche und Gute Führung entwickeln wollen

Es ist heute üblich, dass Organisationen Führungskompetenzen auf sachlicher und persönlicher Ebene ausbilden. Ausbildungsprogramme werden konzipiert, Trainings beauftragt, dann werden Führungskräfte durch Module und Seminare geschleust. All zu oft ist das Ergebnis dann ernüchternd, das reale Führungsverhalten ändert sich kaum, auch vorab definierte Defizite bleiben bestehen. Ein wesentlicher Grund dafür ist häufig, dass die geschulten Personen an die gläsernen Mauern ihrer Organisation stoßen, die auf solche Veränderungen nicht eingestellt ist. Strukturen, Prozesse und vor allem die Organisationskultur wurden nicht mitentwickelt und reagieren auf das neue Wissen und die neuen Haltungen irritiert und mit Abstoßung.

Aus dem Diskurs rund um Responsible Leadership lässt sich gerade hinsichtlich dieses Abstoßungsprozesses aus meiner Sicht für die Führungsentwicklung folgendes lernen.

Gemeinsames Erarbeiten einer Wertelandkarte zur Orientierung im Stakeholderdschungel...

Führung findet heute immer mehr im Kontext vielschichtiger Stakeholderbeziehungen und potenziell konfligierender Werte statt. Diese Gemengelage ist komplex, widersprüchlich und unübersichtlich. In einem ersten Schritt geht es daher um Orientierung. Führungskräfte müssen sich den eigenen organisatorischen und gesellschaftliche Kontext überhaupt einmal erst bewusst machen. Sie müssen die vielfältigen Beziehungsstrukturen zu den internen und externen Stakeholdern und die darin eingewobenen Wertvorstellungen erst einmal erkennen, einschätzen und zu den eigenen Werten und den der Organisation in Beziehung setzen. Bevor es um verantwortliche Gestaltung des komplexen Beziehungsnetzwerkes mit all seinen Widersprüchen geht, braucht es also diesen Prozess der Auseinandersetzung mit der Situation und der Lage, in der man sich befindet. Folgende Frage kann – wenn sie im Führungsteam gemeinsam bearbeitet wird -- für erfolgreiche Führung hilfreich sein:

Was verstehen wir in unserer Organisation und angesichts unserer Lage (wirtschaftliche Lage, Erwartungen von Stakeholdern) unter guter und erfolgreicher Führung?

Die gemeinsame Bearbeitung dieser Frage hilft zu verstehen, wie die Einschätzung der eigenen Position mit Strategie und Führung zusammenhängen. In der Reflexion über diese Frage wird einerseits deutlich werden, für welches aktuelle und welche zukünftigen Probleme des Unternehmens Führung eine Lösung sein kann. Andererseits wird transparent, welche Werte Führung zu Grunde liegen sollen und wie diese im Einklang mit den Erwartungen von Stakeholdern im Besonderen und der Gesellschaft und Öffentlichkeit im Allgemeinen. Führungskräfte hätten damit eine Basis, ein ethisches Orientierungswissen, um ihre Rolle und Verantwortung bei der Integration von Werten und wertebasierten Ansprüchen im Stakeholdernetzwerk adäquat wahrnehmen zu können.

Maak & Ulrich (2007, S.379) schlagen ergänzend dazu auch noch folgende Frage vor:

Wer soll wen führen – auf welcher normativen Grundlage – mit welchen Mitteln – zu welchem Zweck?

Die erste Teilfrage gibt hier Aufschluss über die eigentliche Führungsbeziehung und den Führungskontext der gerade in einem komplexen Stakeholdergeflecht all zu leicht außer Sicht gerät. Die zweite Frage klärt, auf welcher normativen Grundlage, auf welchem Werteboden Führung stattfinden soll. Die dritte Teilfrage zielt auf den Aspekt von Legitimität und Macht. Wie darf Macht eingesetzt werden, wo sind die Grenzen? Welche Führungsmittel sind legitim? Die vierte Teilfrage hat Führungsziele, Organisationsziele und auch die Strategie im Fokus.

...als voraussetzungsvoller Prozess der Reflexion und Selbstthematisierung

Die gemeinsame Arbeit und Reflexion an diesen Fragen braucht auf Ebene der Führungskräfte wie auch der Organisation „den Willen und die Fähigkeit Werte und Annahmen zu thematisieren, zu untersuchen und damit den Willen, die eigenen Grundannahmen zur Disposition zu stellen.“ (Pless & Maak 2008, S.231). Es muss Bewusstsein und Anerkennung dafür bestehen, dass es für eine verantwortliche Führungspraxis wichtig ist, eigene Werte in Relation zu den Werten der relevanten Stakeholder zu reflektieren und daran anknüpfend eine Führungsstrategie zu entwickeln. Denn „Aussagen darüber, was verantwortliche Führung ausmacht, oder woran Führungserfolg in einer Stakeholder-Gesellschaft zu bemessen ist, lassen sich nur in der Reflexion auf, und mittels des Diskurses über diese Fragen machen, nicht jenseits davon.“ (Pless & Maak 2008, S.227)

Die Arbeit an guter und verantwortlicher Führung braucht daher auch geeignete soziale Räume und Kommunikationssettings, in welchen diese Form der Reflexion möglich ist. Und – hier schließt sich der Kreis – ist es Aufgabe von Führung die gute Führung will, für die Herstellung solcher Räume zu sorgen. Führungsentwicklung ist hier in erster Linie Organisationsentwicklung als Prozess der Gestaltung von passenden Kommunikationsstrukturen und Verhandlungssystemen in der Organisation und mit den Stakeholdern, in welchen gemeinsam an den Fragen von guter und verantwortlicher Führung und Kooperation gearbeitet werden kann.

...und Basis einer gelingenden Führungsentwicklung.

Die Arbeit an guter und verantwortungsvoller Führung kann daher auch nicht im Rahmen klassischer Führungsentwicklung als Trainingsprogramm wahrgenommen werden. Es geht vielmehr darum, einen geeigneten Prozess der Reflexion und Auseinandersetzung als kooperatives Geschehen der Führungskräfte zu initiieren und dann auch kontinuierlich zu betreiben, in dem die Grundlagen von Führung regelmäßig neu eingeschätzt und weiter entwickelt werden. Dies ist quasi die Basis der Führungsentwicklung, die Arbeit an der Haltung und den Werten. Wenn diese Basis gegeben ist, kann die Arbeit an den Führungskompetenzen – und zwar gleichermaßen der Personen wie der Organisation – erst beginnen.



[1] Die gesamte in diesem Beitrag im Text angeführte Literatur findet sich im für diesen Blog zentralen Literaturverzeichnis.

[2] Siehe dazu auch Blogbeitrag 4/ 2012: Warum das Maschinenmodell zwar immer noch handlungsleitend, aber immer weniger wirksam ist.