April 2014

Interventionskompetenz zur Führung dynamischer Organisationen in komplexen Umwelten

von Kurt Mayer (Kommentare: 1)

Was Führungskräfte und Organisationen können sollten, wenn sie wirksam führen wollen (2)

Selbstkompetenz (siehe Blogbeitrag Mai 2013) bezieht sich somit wesentlich auf die Herstellung von persönlicher Handlungsfähigkeit durch das Erschließen eigener Potenziale, durch das Auffinden von eigenen (wenig hilfreichen) Kommunikations- und Handlungsmustern und deren Veränderung und durch Selbstentwicklung. Dies ist die eine Seite der Medaille, ein gelingendes Sich selbst führen als Voraussetzung für das Führen von Menschen und Organisationen.

Die andere Seite der Medaille besteht aus einer entwickelten Interventionskompetenz, die in der Lage ist, jene zentralen Handlungsfelder von Führung, die sich für Organisationen in dynamischen Umfeldern als besonders relevant erweisen, erfolgreich auszugestalten. Es geht hier um Führung im eigentlichen Sinn, also die zielorientierte soziale Einflussnahme auf die Organisation und ihre relevanten Umwelten[1] (MitarbeiterInnen, KundInnen, Kooperationspartner, Technologie, Behörden etc.) zur Erfüllung gemeinsamer Aufgaben.

Es ist mir hier wichtig Führung als spezielle Dienstleistung im Interesse der Funktionsfähigkeit der gesamten Organisation zu begreifen und dann zu fragen: Welche zentralen Handlungsfelder muss Führung erfolgreich bespielen, wenn sie wirksam wein will?

Aus der mehrjährigen Erfahrung in der Beratung von dynamischen Organisationen und auf Basis zahlreicher Interviews mit Führungskräften in mehreren Forschungsprojekten seit Ende der 1990er Jahre scheint mir Interventionskompetenz in Bezug auf folgende acht Führungsfelder besonders relevant zu sein.

1.Orientieren: Für Sinn und Ziele sorgen

Im Handlungsfeld „orientieren“ steht die Auseinandersetzung mit der eigenen Zukunft, den eigenen Kernkompetenzen und der eigenen Identität im Vordergrund. Es geht um das kontinuierliche und zielgerichtete Durchführen von Nachdenk- und Lernprozessen, deren Ergebnis in einem gemeinsamen Wollen besteht und in einem gemeinsamen Verständnis über Ziele und Erfolg bzw. wo er zu suchen und aufzubauen ist.

Folgende Fragen stehen im Zentrum: Wer sind wir? Was ist unser Existenzgrund? Was ist unsere Leidenschaft? Was können wir? Was unterscheidet uns von anderen? Was macht uns einzigartig? Wo stehen wir (im Vergleich zu anderen)? Wohin wollen wir? Was ist unsere Vision? Woran könnten wir erkennen, dass wir unsere Vision erreicht haben? Was sind unsere strategischen Ziele? Welche Wege führen zu diesen Zielen? Welche Risiken sind damit verbunden? Welche Ressourcen haben/ brauchen wir dafür? Welche Potenziale müssen wir bilden und entfalten?

Die spezielle Führungskompetenz in diesem Feld besteht darin, wahrzunehmen, wann es solche Prozesse braucht, solche Prozesse anzuregen, für ihre Durchführung zu sorgen, sich mit eigenen Vorstellungen einzubringen und gleichzeitig Partizipation und Teilhabe zu ermöglichen, so dass das Ergebnis breit getragen und wirksam wird.     
Ein Aspekt ist auch, dafür zu sorgen, dass die Ergebnisse in der Folge nicht im Alltagsgeschäft verschwinden, sondern handlungswirksam bleiben. Wirksame Führungskräfte verbreiten verdichten die Ergebnisse, bilden Geschichten, verbreiten sinnvolle Theorien, Erklärungen und Legitimationen und stiften Sinn.

Orientierte Organisationen und Mitarbeitende wissen Bescheid über Prioritäten und Fokussierung von Aufmerksamkeit. Sie wissen Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden. Es entsteht Klarheit was mit Ressourcen zu versehen ist und was nicht.

Spezielle Führungskompetenzen im Feld der Orientierung

  • wahrnehmen, wann es hier einen Orientierungsprozess braucht/ Orientierungsdefizite aufgreifen und zum Thema machen
  • einen Orientierungsprozess auf den Weg bringen (Projekt- und Prozesskompetenz), d.h. erst eine offene Auseinandersetzung über die oben genannten Grundfragen, Organisieren einer Entscheidung und Umsetzungsprozess.
  • die Ergebnisse in die Organisation tragen, sich darüber mit Mitarbeitenden und Stakeholdern weiter auseinander setzen und Sinn stiften.
  • die Vision mitentwickeln, damit MitarbeiterInnen inspirieren. Transparenz darüber herstellen: was ist unser Ziel und wofür ´brenne´ ich als Führungskraft.

2.Steuern: Für Zielerreichung sorgen

Steuern heißt „dranbleiben“. Wie wir in Blog 5 näher ausgeführt haben ist eine Intervention zwar eine zielgerichtete Kommunikation mit der Absicht einer bestimmten Wirkung (es geht beim Führen schließlich um eine zielorientierte soziale Einflussnahme von Personen und sozialen Systemen), die Erzielung der erwarteten Wirkung ist aber zunächst einmal unwahrscheinlich. Denn die Botschaft, die Sie als Führungskraft senden wird nicht einfach ins Zielsystem übertragen, sondern dort erst systemintern konstruiert. Und zwar auf Basis des momentanen emotionalen Zustands und der Erwartungen und Erfahrungen der Person, des Teams oder des Organisationsteils an den Sie die Botschaft adressieren.           

Es geht daher darum, die Systemreaktionen zu beobachten, mit den eigenen Wirkungserwartungen zu vergleichen, Hypothesen über den Hintergrund der Abweichung zu bilden (zB: passende Ressourcen und Strukturen?), Rückschlüsse auf die inneren Strukturen, Prozesse und Befindlichkeiten des Zielsystems zu ziehen (zB: wo liegt gerade die Energie im System?) bzw. angesichts der Ergebnisse auch die Sinnhaftigkeit der eigenen Wirkungsziele zu hinterfragen (zB: unrealistische Erwartungen?) und aus diesem Reflexions- und Abwägungsprozess heraus  einen neuen Steuerungsimpuls zu setzen. Dann wiederum die Wirkung zu beobachten, Hypothesen über die Abweichung zu machen etc.

So besteht steuern vor allem in diesem schleifenförmigen Prozess, der meist mehrere „Nachjustierungen“ in Form eines neuerlichen Durchlaufens dieser Schleife erforderlich macht aber dabei das Erreichen von Zielen nicht aus den Augen verliert.

Spezielle Führungskompetenzen im Feld der Steuerung

  • Beobachten, Hypothesen bilden, Intervenieren, Beobachten...
  • „dranbleiben“ und in Kontakt bleiben
  • das Ziel/ die Ziele im Auge behalten (Effektivität)
  • Kosten/ Nutzen Relation im Blick behalten (Zeit, Kosten, Qualität; Effizienz)
  • Feedback geben

3.Entscheiden –für Reduktion von Komplexität und sicherheit sorgen

„Die wirksame Entscheidung entsteht nicht aus einem Konsens bezüglich der Fakten. Das Verstehen, das einer richtigen Entscheidung zugrunde liegt, erwächst aus dem Zusammenprallen und dem Konflikt divergenter Meinungen und aus dem ernsthaften Erwägen konkurrierender Alternativen.“ (Peter Drucker)

Eine Organisation ist so gut wie ihre Entscheidungen. Organisationen können nur überleben indem sie als basale Form von Kommunikation Entscheidung an Entscheidung knüpfen, dadurch Unsicherheit in Gewissheit verwandeln und Komplexität dabei reduzieren. Aus der Perspektive von Führung weist dieser Fokus insbesondere auf Fragen der Entscheidungsvorbereitung, des Treffens von Entscheidungen und ihrer Umsetzung hin.

In der Entscheidungsvorbereitung geht es vor allem darum, den Prozess lange genug offen zu halten: bis das Problem wirklich klar ist und Anforderungen an eine Lösung definiert sind; und dann mehrere Lösungsoptionen herausgearbeitet und in ihren Risiken und Grenzen eingeschätzt wurden. In dieser Phase braucht es vor allem einen Geist des Beobachtens, Verstehens, Nachdenkens, Nachfragens und Erfindens.

Welche und wie viel Fachexpertise braucht es in dieser Phase um Problem und Alternativen sichtbar zu machen? Wie viel und welche Beteiligung von MitarbeiterInnen und Stakeholdern ist notwendig um alle relevanten Erfahrung und Perspektiven nutzbar zu machen? Welche abgegrenzten Räumen der Vernetzung, des Feedbacks, der Zusammenschau, der gemeinsamen Analyse, Reflexion sind passend um eine angemessene Sicht auf Problem und Alternativen zu bekommen? Das sind Schlüsselfragen in dieser Phase.

In der Entscheidungsphase geht es immer darum, tatsächlich eine Wahl zu treffen. Hier dominiert eine politische Logik, es geht um Interessen und Macht. Die Kunst ist hier, geeignete Räume, Kontexte und Designs herzustellen, welche ein konstruktives und an der Zukunftsfähigkeit der Organisation ausgerichtetes Bewältigen der Gegensätze unterstützen und ermöglichen. Eine gute Entscheidung ist eine Funktion aus ihrer inhaltlichen Qualität und ihrer Akzeptanz, d.h. gute Entscheidungen müssen so zu Stande kommen, dass sie auch mitgetragen werden.

Denn erst in ihrer Umsetzung kann eine Entscheidung zu einer guten Entscheidung werden. In dieser Phase geht es vor allem darum, den Umsetzungsprozess zu ´steuern´ (siehe oben). Als Führungskraft voran zu gehen, die Entscheidung mitzuteilen, zu begründen und daraus sich ergebende Veränderungen anzuleiten; allfällige Pilotprojekte mit auf den Weg zu bringen und dafür Sorge zu tragen, dass es geeignete Räume der Reflexion von Umsetzungserfahrungen gibt.

Spezielle Führungskompetenzen im Feld der Entscheidung

  • Entscheidungen erfordern Zeit und Aufwand. Organisationen versuchen Entscheidungen auf ein Minimum zu reduzieren. Die Kompetenz von Führung besteht daher vor allem darin, Entscheidungsnotwendigkeiten aufzugreifen und Platz für Entscheidungen in die Organisation einzubauen.
  • Entscheidungsprozesse als Abwägungs- und Kommunikationsprozesse zu gestalten
  • Die drei Phasen von Entscheidungen differenzieren zu können und ihren jeweiligen Erfordernissen gemäß auszugestalten; und zwar im Spannungsfeld von Komplexität und Unsicherheit, zwischen Öffnung und Schließung der Diskussion relevante Unterschiede in Richtung einer Entscheidung zu ´balancieren´ und diese dann auch umzusetzen.
  • Die damit verbundenen Spannungen und Widersprüche gilt es auch als Person, als Team, als Führungssystem auszuhalten.

4.Führungsbeziehungen gestalten: Für MitarbeiterInnen und Teams sorgen

In ihrer sozialen Verfasstheit verweisen Organisationen auf die Relevanz von gelingender Beziehungsgestaltung und auf den Erfolgsfaktor Kommunikation. Emotionen, ihre Bearbeitung, sowie Motivation und Energie der Mitarbeitenden geraten in den Blick und bilden ein zentrales Feld der Führungsintervention.

Führungskräfte sind meist Teil eines Führungsteams, sie führen ihr eigenes Team und haben in verschiedenen Kontexten direkten Kontakt zu anderen MitarbeiterInnen der Organisation. In all diesen Kontakten bilden und prägen sie soziale Beziehungen. Nur wenn es der Führungskraft gelingt, in diesen Beziehungen Anschlussfähigkeit an die Erwartungen der KollegInnen und der MitarbeiterInnen herzustellen und Vertrauen aufzubauen, können diese gut in die gemeinsame Zielverfolgung eingebunden werden.          
Die Klärung wechselseitiger Erwartungen, eine damit einhergehende Rollenklarheit und eine kontinuierliche Fortsetzung eines wechselseitigen Feedback- und Erwartungsklärungsprozesses sind ebenso grundlegend für gelingende Führungsbeziehungen wie eine Haltung der Wertschätzung, des Respekts und des Vertrauens und bilden die Basis für Engagement, Loyalität und Leistungsbereitschaft von Mitarbeitenden.

Gelingende Führungsbeziehungen sind eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass Mitarbeitende ihre personennahen Begabungspotentiale und Wahrnehmungsmöglichkeiten möglichst umfassend in die Organisation einzubringen. Oft kann in Organisationen erst dadurch  jene organizational capability entstehen, die es Organisationen ermöglicht, besonders risikoreiche und komplexe Aufgaben zu bewältigen (vgl. Wimmer 2009, S.234f.). Auf der anderen Seite einer gelungen Führungsbeziehung stehen damit aber auch Vorkehrungen, der Tendenz zur unbegrenzten Vereinnahmung von LeistungsträgerInnen vorzubeugen (Stichwort Burn-Out).

Spezielle Führungskompetenzen im Feld der Gestaltung von Führungsbeziehungen 

  • „Supportive Leadership“: Führen durch Einladen, Ermutigen und Inspirieren (siehe Blogbeitrag 10)
  • Fragen und Zuhören
  • in Kontakt kommen/ bleiben, Respekt, Achtsamkeit; Wahrnehmen von Überforderung und Unterforderung
  • soziale Intelligenz als „Fähigkeit, andere zu verstehen sowie sich ihnen gegenüber situationsangemessen zu verhalten
  • Empathie und Klarheit

5.Change: Für passende Strukturen und Prozesse sorgen

Angesichts sich dynamisch verändernder Umwelten, Kunden und Märkte (Stichworte: „Speed of Change“, Wandel ist die Konstante) besteht für Organisationen heute immer wieder die Notwendigkeit, möglichst frühzeitig Veränderungsprozesse einzuleiten und neue Strukturen zu implementieren bzw. existierende Abläufe und Prozesse weiter zu entwickeln.

Führungskräfte müssen also – parallel zu Prozessen der Routinisierung, Stabilisierung und Normierung – auch Prozesse bereitstellen, die Veränderung, Dynamik, kalkulierte Unsicherheit und Irritation auslösen und damit das System mit jener Spannung versorgen, die es zur nachhaltigen und zukunftsfähigen Erfüllung seiner Aufgaben benötigt. Entscheidungsmechanismen, Rollendefinitionen, Ablaufstrukturen, Kooperationsbeziehungen, Besprechungen, Erfolgskriterien und Erfolgsmessungen werden damit zum Thema.

Die Schlüsselfrage ist dabei immer: Passen diese Strukturen und Prozesse (noch), kann die Organisation ihre Aufgaben damit gut bewältigen? Oder besteht Veränderungsbedarf, weil sich Erwartungen von KundInnen, Technologien oder auch strategische Ziele verändert haben?

Davon ausgehend stehen folgende Fragen im Zentrum: Besteht ein "Need for Action"? Gibt es Leidensdruck und wo zeigt er sich (Zuständigkeitslücken, unklare Rollen, Konflikte...)? Was ist das Ziel? Was ist nach dem Veränderungsprozess gelöst oder ist dann anders? Welche positiven und konkreten Zukunftsbilder sind damit verbunden? Braucht es Optimierungen? Reicht es aus, Veränderungen in einigen kleineren Bereichen des Unternehmens vorzunehmen (einzelne Fachbereiche, einzelne Hierarchieebenen, einzelne Abläufe, Infrastruktur, Hilfsmittel...)? Ist ein grundlegender Wandel notwendig? Müssen auch Normen und Verhaltenweisen, Werteebenen und Regeln der Zusammenarbeit einbezogen werden? Wie entsteht echtes Commitment? Wer soll wann und in welcher Rolle in den Veränderungsprozess eingebunden werden? Wie viel Einbindung der Betroffenen ist nötig, damit die Ergebnisse tatsächlich umgesetzt werden?

In Zeiten rasanten Wandels und komplex-chaotischer Umwelten steht dabei die „Organizational Capability“ im Vordergrund in organisatorischen Alternativen und neuen Organisationsdesigns zu denken und – innerhalb des Unternehmens, aber insbesondere auch im Umgang mit KundInnen, KooperationspartnerInnen und anderen relevanten Stakeholdern – phantasievolle organisatorische Strukturen zu entwickeln.

Spezielle Führungskompetenzen im Feld Organizing und Change

  • Veränderungsbedarf wahrnehmen und zum Thema machen
  • Need for Action klären – für eine positive Zielperspektive sorgen
  • Geeignete externe Unterstützung/ Beratung hinzuziehen
  • Den Veränderungsprozess mitgestalten/ mitsteuern

6.Learning: Für Potenzialentfaltung und Innovation sorgen

Innovation steht im Zentrum der gegenwärtigen Wettbewerbsdynamik. Interessant ist das vor allem deshalb, weil das Innovationsgeschehen auf den ersten Blick nicht im Rahmen einer Organisationslogik des Stabilisierens, Planens und Berechnens organisierbar ist. Innovation korrespondiert vielmehr mit günstigen oder weniger günstigen Rahmenbedingungen und –faktoren. Dosi (1988, S.222) kam schon vor mahr als 25 Jahren zur grundlegenden und ungebrochen gültigen Schlußfolgerung „In an essential sense, innovation concerns the search for, and the discovery, experimentation, development, imitation, and adoption of new products, new production processes and new organisational set-ups”.

Ein solcher Prozess kann weder kodifiziert noch formalisiert werden, er beruht vielmehr auf vielfältigen Lernprozessen, die in alltägliche ökonomische Aktivitäten eingebettet sind und in die viele Akteure involviert sind. “Learning by doing”, “learning by using” und “learning by interacting” (Edquist 1997, 16f.) gewinnen damit an Relevanz.

Lernen beginnt dort, wo eigene Erwartungen irritiert werden und diese Irritation gleichzeitig auf eine Grundhaltung trifft, die es ermöglicht, sie auch wahrzunehmen und in einen Reflexionsprozess überzuführen: Was ist der Hintergrund der Abweichung von Erwartung und beobachtetem Ergebnis?

Oft muss hier erst hart an einer tief verwurzelten organisationskulturellen Barrieren gearbeitet werden: Wenn etwa Fehler als individuelles Versagen klassifiziert und negativ sanktioniert werden (rigide Fehlerkultur) oder wenn die Organisation von sich ein Selbstbild weitgehender Fehlerlosigkeit gebildet hat und Abweichungen gar nicht vorkommen dürfen. Hier wird die Differenz zwischen irritierender Wahrnehmung und Erwartung ignoriert, kleingeredet, als Sonderfall eines völlig zufälligen und unwahrscheinlichen Zusammenkommens von ungünstigen Umständen abgetan oder sonstwie gerechtfertigt und kleingeredet.

Der Magic Moment of Learning entsteht also in jenem kurzen Moment zwischen dem Eintreten der Irritation/ Überraschung und dem Übergehen zur Normalität. Diesen Moment gilt es zu nutzen, wer hier zu lange wartet, dem wird die Lernchance im Sog des Alltagsgeschäftes wieder entschwinden.

Aufgabe von Führungskräften in diesem Kontext ist es vor allem, als Schnittstelle zu den relevanten Umwelten zu fungieren, um die Organisation, „mit den notwendigen Irritationen und Anstößen aus der Umwelt bzw. von den Kunden zu bzw. von den Märkten zu versorgen.“ (Wimmer und Schumacher 2009, S.175). Und gleichzeitig auch dafür Sorge zu tragen, daß passende Zeiten und Räume vorhanden sind, um die mit diesen Irritationen verbundenen Lernchancen zu nutzen. In der Organisation sollen damit Lernprozesse und Entwicklungsprozesse angestoßen werden, die eine Differenz zu sich selbst erzeugen, also zur eigenen Perspektive als Führungskraft, zum Führungssystem, zu organisatorischen Routinen und Strukturen.

Die Kunst der Lernintervention und des Kreierens von Lernkontexten besteht daher auch darin, zumutbare Irritationen zu designen,

„ (…) to optimize the degree of difference and irritation. If there is nothing new to experience, there is little to learn. But the same happens if there is too much difference – if you teach high school content to a first grader, even the smartest cannot learn.” (Deiser 2010, S.25f.)

“Creating ´designed spaces of irritation´ is at the heart of the learning practice, no matter if the space is a classroom, an organization or a business process.” (Deiser 2010, S.26)

Spezielle Führungskompetenzen im Feld des Learning

  • Relevante Umwelten in der angemessenen Komplexität beobachten,  relevante Unterscheidungen wahrzunehmen und als Entwicklungsimpulse in/ an jene Personen, Organisationsteile und Stakeholder zu spielen, die damit ihr Potenzial im Sinne der Organisationsstrategie entfalten können.
  • Räumedes Dialogs und des Lernens/ Lerngänge auf den Weg zu bringen (d.h. fördern, unterstützen, begleiten, mitsteuern)
    • welche auch in die Lage versetzen, existierende kognitive Landkarten zu erschüttern und eine Sensitivität für künftige Herausforderungen und Veränderungsnotwendigkeiten entstehen zu lassen.
    • welche die Entfaltung von Potentialen stimulieren, zB. durch die maßgeschneiderte Abfolge von dialogischem Austausch, externen Perspektiven, spannenden Inputs von Außen, inspirierenden Fragestellungen, schöpferischen Gesprächen, Gruppenübungen und Probehandeln.
    • welche aus dem Abarbeiten und Reagieren immer wieder auch ein bewusstes Handeln und Gestalten von Zukunft machen.
    • in welchen sich das für den Leistungsprozess und den Prozess des Organisierens relevante Wissen emergent bildet und die Begrenzungen der Räume so zu setzen, dass das Wissen outputorientiert und strategieanalog gebildet wird
  • Die Lernprozesse co-steuern, d.h. immer wieder auch beobachten, was aus den Entwicklungsimpulsen geworden ist, Hypothesne bilden, neue Impulse/ Interventionen.

7.Konflikte bearbeiten: Für handlungsfähige MitarbeiterInnen und Teams sorgen

Industriebetriebe, Forschungsinstitute, Architekturbüros oder Non-Profit Betriebe: Moderne Organisationen weisen eine enorme Leistungsfähigkeit auf. Doch sie produzieren gleichzeitig Koordinationsprobleme, Überforderung und zwischenmenschliche Reibungen. Organisationen werden zur geeigneten Bühne für Konflikte, da in Organisationen immer unterschiedliche Logiken zusammen gebracht werden müssen (zB.: ökonomische Logik, Expertenlogik, Technische Logik, bürokratische Logik, Ausbildungslogik etc.) und Widersprüche daher quasi konstitutives Element von Organisationen und einer komplexen Arbeitsteilung sind.

Zunächst ist für Führung also Folgendes relevant:

„Je mehr Widersprüche eine Organisation verträgt, ohne ihre Funktionsfähigkeit einzubüßen, desto besser kann sie sich weiterentwickeln und an Umweltveränderungen anpassen.“ (Schwarz, Konfliktmanagement, S.29)

Gleichzeitig tendieren Konflikte aber auch zur Eskalierung, sie werden als Kampfsituationen wahrgenommen und entfalten eine innere Konfliktdynamik, die eine friedliche, konstruktive und gewaltfreie Regelung zunehmend macht. Konflikte bedürfen daher der Intervention und Entschärfung durch Führung.

Es gilt zu klären, auf welcher Ebene der Konflikt tatsächlich verortet ist. Auf den ersten Blick – und leider geht Konfliktintervention all zu oft nicht über diesen ersten Blick hinaus -- werden Konflikte auf der Personenebene verortet: A ist B unsympathisch und/ oder umgekehrt, daher können die beiden nicht miteinander. Tatsächlich steht oft ein Problem auf der Struktur- und Prozessebene dahinter (A vertritt die Logik des Verkaufs; B vertritt die Logik der Forschung und Entwicklung) manchmal auch ein Problem auf der Ebene der Gruppendynamik.

Führungsinterventionen in Konflikte sollten daher primär versuchen, Konflikte zu entpersonalisieren und nach den dahinter liegenden Widersprüchen fragen. In der Folge gilt es  einen emotional sicheren sozialen Rahmen für die Auseinandersetzung zwischen den Konfliktparteien zu schaffen (zB.: extern begleitetes Konfliktlösungsgespräch, Etablierung eines Verhandlungssystems), der geeignet ist den Konflikt zu de-eskalieren. Je nach Bedeutung des Konfliktes und dem Grad seiner Eskalation kann die Führungskraft hier selbst in eine vermittelnde Rolle schlüpfen oder mit externer Hilfe ein Bearbeitungssystem etablieren.

Spezielle Führungskompetenzen im Feld der Bearbeitung von Konflikten

  • Konflikte wahrnehmen und in geeigneter Form zwischen den Konfliktparteien zum Thema machen
  • Ein emotional sicheres Bearbeitungssetting auf den Weg zu bringen
  • Je nach eigener Rolle die Konfliktbearbeitung mitsteuern
  • Erkenntnisse aus dem Konflikt für allfällige Maßnahmen der Organisationsentwicklung nutzen

8.Kooperieren – Für nachhaltiges Überleben in einem starken Partner – und Stakeholdernetzwerk sorgen

Vor dem Hintergrund eines komplex-dynamischen Wirtschaftsumfeldes wird es auch immer weniger wahrscheinlich, dass eine wirtschaftliche, technische oder gar gesellschaftliche Problemlage von einer Organisation sinnvoll allein zu bearbeiten ist. Es zeigt sich auch, dass dort wo früher hierarchisch aufgebaute Unternehmensriesen Produkte und Leistungen ´In-House´ erstellt haben oder Verwaltungsorganisationen Versorgungsleistungen direkt erbracht haben, heute diese Güter und Leistungen von einer Vielzahl eigenständiger und damit eigensinniger Betriebe zur Verfügung gestellt werden.

Die Fähigkeit zur Kooperation wird daher zum kritischen und entscheidenden Wettbewerbsfaktor.

Es geht darum, an den und über die Grenzen der eigenen Organisation hinaus Prozesse des Kollaborierens zu etablieren, distributed co-creation processes, dieses neue Interface sorgfältig auszugestalten und damit neue Grenzen/ Grenzformen zu gestalten.

Doch Kooperation ist auch notwendigerweise mit dem Verlust direkter Kontrolle verbunden. Im entstehenden Multi-Stakeholdernetzwerk gibt es keinen Boss und keinen Vorgesetzten, keine vordefinierte Macht und Autorität. Damit wird Führung dort auch anspruchsvoller und komplexer, auch weil Interessenkonflikte, Wertekonflikte und normative Herausforderungen zunehmen.

Es braucht Zusammenarbeit durch Verhandlung und Aushandlung und neue Formen von Verbindungen und Kopplungen zwischen Organisationen. Dies ist eine neue, sehr anspruchsvolle Aufgabe: Wie können bindende Kommunikations-, Arbeits- und Entscheidungsstrukturen zwischen Organisationen eingeführt werden? Wie kann Kooperation und Konkurrenz balanciert werden? Wie eng oder lose sollen Kooperationen und Netzwerke geknüpft werden? Welche Spielregeln sind nötig? Welche Steuerungsansätze eignen sich für das Management von Kooperationen? Wie sind Fusionen kooperativ zu gestalten?

Der Fokus verschiebt sich von der einzelnen, vertikal aufgebauten Organisation zu einem Mix horizontaler Organisationsbeziehungen wie Netzwerken, Leistungsverbünden, Clustern, Joint Ventures, Public Private Partnerships. Vor diesem Hintergrund gerät die Gestaltung von Koordinationsprozessen ins Zentrum der Frage relevanter Qualifikationen des Managements. Führungskräfte, Stabsmitarbeiterinnen, Berater stehen vor neuen Herausforderung, die spezielle und oft unterschätzte Kompetenzen benötigen.

Eine der zentralen Herausforderungen für Führung – darauf haben wir auch schon im Blogbeitrag 11 zum Thema Responsible Leadership hingewiesen – besteht daher darin, die Stakeholderbeziehungen des Unternehmens im Umfeld potenziell konfligierender Interessen und Werte zu pflegen und zu gestalten und im Falle von Konflikten einen Ausgleich/ eine Balance zwischen den werthaltigen Ansprüchen der unterschiedlichen internen und externen Stakeholder herzustellen. Das bedarf neben dem situativen Management auch der Entwicklung neuer Strukturen. Der Führungskraft kommt in diesem Sinne die Rolle eines „Weavers“ zu (Maak/Pless 2006b: 112), eines Webers von Beziehungen, eines Mediators und Netzwerkers. (Pless & Maak 2008, 235)

Spezielle Führungskompetenzen im Feld der Kooperation

  • Die Fähigkeit sich mit externen Umwelten auseinander setzen zu können, also zum Beispiel mit unterschiedlichen professionellen Sprachen, unterschiedlichen Anspruchsgruppen, unterschiedlich kulturellen Rahmenbedingungen.
  • Kenntnisse über die Eigenlogik von Großgruppen und Kompetenz in der Leitung von Großgruppeninterventionen (organisationsübergreifender Multi-Stakeholder-Ansatz)
  • Kompetenz in organisationsübergreifender Prozesssteuerung
  • Kompetenz im Umgang mit dem Erwartungsdruck unterschiedlicher ‚Stakeholder'.
  • Verhandlungsfähigkeit zur Klärung unterschiedlicher Erwartungen und zur Definition von Aufträgen, die den Möglichkeiten und Voraussetzungen entsprechen

...und zur Quintessenz

Tatsächlich dürfte die Selbstkompetenz so etwas wie die ´conditio sine quo non´ oder das Herz wirksamer Führung in volatilen Umwelten sein. Die Voraussetzung um in den oben genannten Führungsfeldern erfolgreich intervenieren zu können. Claudius Fischli, Schweizer Psychologe, Gruppendynamiker und Psychotherapeut, ortet – quasi als Kern der Verbindung von Selbstkompetenz mit den oben angeführten Interventionskompetenzen -- letztlich auch das wichtigste Steuerungsmittel und Managementinstrument für Führungskräfte:

„Das Nachdenken über sich selbst, Lagebesprechungen, die Organisation von Reflexion und Feedback sind das wichtigste Steuerungsmittel und Managementinstrument über das Führungskräfte verfügen.“  (Fischli 2012, S.44)



[1] siehe dazu insbesondere auch Blogbeitrag 5 und Blogbeitrag 11.